Herbst - Zerfall
weitere medizinische Ausbildung besaß, nahm dankbar alles an, was man ihr anbot und schloss sich in der Wohnung neben der, in der sich Anita befand, ein. Sie entdeckte Beschreibungen zahlreicher Leiden und Krankheiten, an denen Anita möglicherweise litt, doch so gut wie gar nichts über Behandlungsweisen oder Empfehlungen. Hollis erschien kurz nach Mittag im Eingangsbereich der Wohnung und trug weitere Medikamente mit sich, die im Ladebereich des Lastwagens umhergerollt waren.
»Gute Neuigkeiten?«, fragte er hoffnungsvoll. Caron legte das Lehrbuch, in dem sie gerade gelesen hatte, zur Seite und rieb sich die müden Augen.
»Nicht wirklich«, gestand sie erschöpft.
»Wie geht es ihr?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nicht besser.«
»Ist ihr immer noch übel? Konnte sie irgendwas ...«
Sie schüttelte wieder den Kopf.
»Sie tut überhaupt nichts. Ihre Temperatur ist himmelhoch und sie ist kaum bei Bewusstsein. Das ist vermutlich das Beste.«
»Hast du es geschafft, irgendwas zu finden, das ihr helfen könnte?«
Sie sah zu den Medikamentenstapeln hinüber, die sie umgaben.
»Ich habe keine Ahnung, wonach ich suche«, gab sie aufrichtig zur Antwort, »und selbst wenn ich den Namen eines Medikamentes finden könnte, das wirksam sein könnte, wie sollte ich herausfinden, wie es aussieht? Ich wüßte ja nicht einmal, ob es sich um eine Tablette in einer Packung oder Medizin in einer Flasche handelt oder ...«
»Verstanden«, sagte Hollis leise, während er quer durch den Raum ging und sich an das Fenster stellte. »Weißt du, was ich denke?«
»Ich weiß, was ich denke«, unterbrach sie ihn unvermittelt, »ich denke, dass ich der Ärmsten so viel wie möglich von dem Zeug in die Kehle stopfen und sie aus dem verdammten Elend erlösen sollte. Ehrlich, Greg, lohnt es sich denn für sie, dass es ihr besser geht?«
Hollis antwortete nicht. Er starrte aus dem Fenster und versuchte, sich daran zu erinnern, wann ihn das letzte Mal jemand mit seinem Vornamen angesprochen hatte. Natalie nannte ihn für gewöhnlich Greg und seine Mutter und sein Vater, und Mark und all die anderen, die er verloren hatte und die ...
»Was zum Teufel macht dieser Idiot denn jetzt?«, sagte er plötzlich und war erleichtert, eine Ablenkung gefunden zu haben.
»Welcher Idiot?«, fragte Caron, stand auf und ging zu ihm hinüber. »Hier gibt’s mehr als nur einen.«
»Webb. Sieh dir nur den blöden kleinen Scheißkerl an!«
Webb ging unsicher entlang der Oberkante der unebenen Absperrung aus Autos und Trümmern, mit deren Hilfe es immer noch irgendwie gelang, die Toten in Schach zu halten. Während er ging, leerte er den Inhalt eines Treibstoffkanisters über die Köpfe der abstoßenden Kadaver, die ohne Unterlass nach seinen Beinen packten und kratzten.
»Er macht mir Angst, wenn er mit Feuer spielt«, gestand Caron mit leiser Stimme.
»Er macht mir Angst, sooft ich ihn sehe.«
Während sie ihn beobachteten, reichte Gordon einen weiteren Kanister mit Treibstoff zu Webb hinauf, der diesen unverzüglich über die Horde kippte und einige Kadaver, die bereits durchnässt worden waren, noch einmal damit begoss.
»Vorsicht mit dem Zeug«, murmelte Hollis unterdrückt.
»Wenn er nicht darauf achtgibt, was er tut, wird er sich selbst anzünden.«
»Darüber mache ich mir keine Sorgen, aber ich will nicht, dass er unseren ganzen Treibstoff verbraucht. Ich bin dann wieder der Trottel, der am Ende nach draußen gehen und neuen besorgen muss.«
Sie beobachteten angespannt, wie Webb den zweiten Kanister leerte und dann nach unten zu den anderen sprang, die in kurzer Entfernung zu den Toten standen. Man konnte nicht leugnen, dass sie an diesem Morgen wieder hart gearbeitet hatten, denn sie hatten bereits einen Abschnitt des Landes wiedergewonnen, der ungefähr die Größe des Stückes maß, für das sie gestern den ganzen Tag lang gebraucht hatten. Allerdings schienen ihre Methoden mit der Zeit willkürlicher und weniger effektiv geworden zu sein. Die Bagger, die zuvor dafür benutzt worden waren, um jeweils einen herrenlosen Wagen oder einen Brocken Mauerwerk zu bewegen, standen nun nicht benötigt und sich selbst überlassen in kurzer Entfernung in dem tiefen Gemisch aus Fleisch und Schlamm, das die Ketten ihrer gewaltigen Räder aufgewühlt hatten. Aus Webbs Tätigkeiten ging klar hervor, dass die Leute, die im Freien verblieben waren, nach Schnellverfahren suchten; Sicherheit und Planung hatte man zur Seite geschoben. Alles, was jetzt
Weitere Kostenlose Bücher