Herbst - Zerfall
darüber, was sie wollte, doch mit Sicherheit wollte sie nicht hier zurückgelassen werden. Mit nervöser Entschlossenheit ging sie zielstrebig in Ellies Zimmer und bereitete sich darauf vor, ihr die Medikamente einzuflößen. Aber sie konnte es nicht tun. Sie fand Ellie bewegungslos auf dem Rücken liegend vor, wie sie nackt und schweißbedeckt mit geweiteten, leeren Augen an die Zimmerdecke starrte. Caron wusste, was sie zu tun hatte, doch sie konnte es einfach nicht.
»Ellie, Liebling«, sagte sie leise, legte sacht die Hand auf die kalte Schulter des Mädchens und schüttelte sie leicht. »Trink das, danach wird es dir besser gehen.«
Sie hob die Wasserflasche an Ellies aufgesprungene Lippen, doch diese konnte nicht trinken. Verzweifelt begann sie es ihr in den Mund zu gießen, doch der Großteil davon rann einfach über ihre Wange hinunter auf das bereits durchnässte Bettzeug. Sie reagierte nicht einmal auf die kühle Temperatur des Wassers. Caron war klar, dass sie bereits so gut wie tot war.
Die leichteste – und feigste Alternative – bestand darin, ihr die Flasche in die Hand zu drücken und fortzugehen. Genau das tat sie, während ihr Tränen über die Wangen strömten. Sie hielt lediglich inne, um Ellies Kunststoffbaby vom Boden aufzuheben und neben sie zu legen.
23
Die Absperrung am Fuße des Hügels war verschwunden; ein nicht aufzuhaltender Strom aus kaltem, totem Fleisch hatte sie verschlungen. Tausende der ruhelosen, widerlichen Leichen, die unablässig von weiteren Tausenden vorwärts gedrängt wurden, waren im Laufe der Nacht schweigend über die Autos, Lastwagen, Trümmer und Ruinen gewogt. Die stärkeren der Kadaver – diejenigen, die bislang von größeren physische Schäden verschont geblieben waren – zerstampften nun ihre schwächeren Brüder unter den verrotteten Füßen. Die stinkenden Überreste unzähliger gestürzter Gestalten waren übereinander gefallen und zusammengepresst worden, wodurch es den anderen möglich wurde, unter der Führung von anderen über sie hinweg zu stapfen und so über die Absperrung zu kriechen.
Ob sie sich nun aus Neugier, Angst, Instinkt oder Hass immer näher an die Lebenden heranbewegten, spielte keine Rolle. Wie Hollis, Harte und etliche der anderen bemerkt hatten, verhinderte die geschwächte Barriere, die es den Leichen nun ermöglichte, ins Innere einzudringen, zusätzlich, dass die innen befindlichen Leichen wieder nach draußen gelangten. Obwohl es bislang noch keine davon geschafft hatte, den Hügel aufwärts zu klettern, so war unausweichlich, dass es den Leichen schlussendlich gelingen würde. Es kam nicht mehr länger in Frage, untätig an Ort und Stelle zu bleiben.
Driver faltete seine ramponierte Zeitung zur Hälfte zusammen und schob sie in den Spalt hinter dem Lenkrad des Busses. Er beugte sich aus der Fahrerkabine hinaus und beobachtete, wie Jas und Harte damit kämpften, die letzten Taschen und Kisten einzuladen. Sie waren bereits außer Atem, da sie gerade Jas’ Motorrad im hinteren Teil des Lastwagens verstaut hatten, nachdem er befunden hatte, dass es sicherer wäre, gemeinsam mit den anderen auf vier Rädern zu fahren.
»Du könntest so nett sein, deinen Hintern bewegen und ihnen helfen«, höhnte Harte sarkastisch.
»Ihr habt es ja schon fast geschafft«, murmelte Driver wenig hilfsbereit.
»Danke für gar nichts«, spie Harte aus, während er sich ungestüm vom Bus entfernte. Seine üble Laune wurde nicht nur durch die panische Angst und Besorgnis, die sie alle seit dem Morgen verspürten, verschlechtert, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sie, nachdem es ihnen gelungen war, so ziemlich all ihre Habseligkeiten im Bus und einem der Lastwagen zu verstauen, noch immer ausreichend überschüssigen Platz besaßen.
Sie hatten sich sogar dazu entschlossen, den anderen Laster, der unzuverlässig war und Öl verlor, zurückzulassen. Im Grunde genommen brauchten sie ihn einfach nicht. Er fühlte sich plötzlich für ein Leben außerhalb der Wohnungen hoffnungslos unvorbereitet und schlecht gerüstet.
Hollis, der den Arm um Carons Schultern gelegt hatte, entfernte sich vom hohen, grauen Gebäude. Gordon folgte dicht hinter ihnen nach und sah typisch schwerfällig und unwohl aus. Jas ging zur Seite, um die drei in den Bus steigen zu lassen. Er wartete, bis Caron und Gordon darin verschwunden waren, bis er sich an Hollis wandte.
»Was ist da drin passiert?«, wollte er wissen.
»Keine Ahnung«, antwortete dieser abrupt. »Ich
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