Herbstfeuer
blaue Sterne verschleierten ihr den Blick, als er sie zurechtrückte, bis sie in der Ecke der Kutsche saß.
Ihr wurde schwindelig, und sie fühlte sich schwach, aber dann gelang es ihr, sich zu fassen. Wie sie feststellte, stand ihr Kleid offen und zeigte vorn bis zur Taille das zerknitterte Hemd. Bei diesem Anblick schlug ihr Herz vor Furcht schneller, und vergeblich versuchte sie, die Hälften des Kleides zusammenzuziehen. Vorwurfsvoll sah sie St. Vincent an. Seine Miene war ernst, aber seine Augen glänzten und schienen zu lächeln. „Nein, ich habe dir nichts getan“, sagte er leise. „Noch nicht. Es ist mir lieber, wenn meine Opfer bei Bewusstsein sind. Doch du atmetest kaum hörbar, und ich fürchtete, die Überdosis Äther und das sehr eng geschnürte Korsett könnten dir den Rest geben. Ich habe das Korsett gelöst, aber ich konnte das Kleid nicht mehr schließen.“
„Mehr Wasser“, sagte Lillian mit heiserer Stimme und nahm vorsichtig einen Schluck aus der ledernen Trinkblase, die er ihr bot. Unverwandt sah sie St. Vincent an und suchte nach einer Spur des charmanten Freundes, den sie auf Stony Cross Park kennengelernt hatte. Doch alles, was sie sah, waren die leidenschaftslosen Augen eines Mannes, der vor nichts zurückschrecken würde, um zu bekommen, was er wollte. Er besaß weder Prinzipien noch Ehrgefühl oder menschliche Schwächen. Sie könnte weinen, schreien oder betteln, nichts davon würde ihn rühren. Er würde vor nichts haltmachen, nicht einmal davor, ihr Gewalt anzutun, um seine Ziele zu erreichen.
„Warum ich?“, fragte sie matt. „Warum konnte es nicht irgendein anderes Mädchen mit Vermögen sein?“
„Weil du die angenehmste Möglichkeit botest. Und was das Finanzielle betrifft, so bist du mit Abstand am besten ausgerüstet.“
„Und Sie wollen Westcliff treffen“, sagte sie. „Weil Sie eifersüchtig auf ihn sind.“
„Liebling, so weit würde ich nicht gehen. Niemals würde ich mit Westcliff und seinen zahlreichen Verpflichtungen tauschen wollen. Ich wollte nur meine Lage ein wenig verbessern.“
„Und dafür sind Sie bereit, eine Frau zu wählen, die Sie hassen wird?“, fragte Lillian und rieb sich die brennenden Augen. „Wenn Sie glauben, ich würde Ihnen jemals verzeihen, sind Sie ein eitler, selbstgerechter Dummkopf. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen das Leben schwer zu machen. Ist es das, was Sie wollen?“
„Im Augenblick, mein Engel, ist Geld das Einzige, was ich will. Später werden wir uns darum kümmern, wie ich deine Meinung über mich verbessern könnte. Wenn das nicht gelingt, kann ich dich immer noch in einem abgelegenen Landsitz unterbringen, wo du zur Unterhaltung den Schafen und Kühen durchs Fenster zusehen kannst.“
Lillians Kopf pochte und schmerzte. Sie hob die Finger an die Schläfen und drückte fest darauf, um den Schmerz zu lindern. „Unterschätzen Sie mich nicht“, sagte sie mit geschlossenen Augen, während ihr Herz sich wie ein kalter Stein in ihrer Brust anfühlte. „Ich werde Ihnen das Leben zur Hölle machen. Vielleicht werde ich Sie sogar umbringen.“
Er lachte freudlos. „Eines Tages wird das zweifellos irgendjemand tun. Da kann es genauso gut meine Gemahlin sein.“
Lillian verstummte und schloss die Augen, um ihre Tränen zurückzuhalten. Auf keinen Fall würde sie weinen. Sie würde auf eine günstige Gelegenheit warten. Und wenn sie einen Mord begehen müsste, um ihm zu entkommen, dann würde sie das mit Vergnügen tun.
Als Marcus die Privatgemächer der Countess erreichte, unmittelbar gefolgt von Simon Hunt, hatte die Unruhe die Aufmerksamkeit des halben Haushaltes erregt. In seiner Absicht, das boshafte Ungeheuer zu finden, das seine Mutter war, achtete Marcus nicht auf die erstaunten Gesichter der Dienstboten, an denen er vorbeikam. Simon Hunts Versuche, ihn zu beruhigen, seine Ermahnungen, sich vernünftig zu benehmen und seine Wut zu zügeln, beachtete er gar nicht. Nie zuvor in seinem Leben war Marcus jemals so weit von jeglicher Vernunft entfernt gewesen.
Er griff nach der Tür zu den Räumen seiner Mutter und musste feststellen, dass sie verschlossen war. Heftig rüttelte er an der Klinke. „Aufmachen!“, rief er. „Jetzt sofort!“
Es blieb still, bevor er schließlich von innen die ängstliche Stimme eines Hausmädchens hörte. „Mylord – die Countess bat mich, Ihnen zu sagen, dass sie ruht.“
„Ich werde sie gleich für immer zur Ruhe schicken“, schrie Marcus,
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