Herbstfeuer
dir über etwas reden …“
„Töchter!“, wurde sie von Mercedes unterbrochen, deren Tonfall äußerste Missbilligung ausdrückte. „Ihr seid noch nicht fertig mit euren Vorbereitungen für die Soiree.“
„Ich bin fertig, Mutter“, erwiderte Daisy schnell. „Sieh nur – ganz fertig. Ich habe sogar meine Handschuhe an.“
„Und ich brauche nur noch mein Retikül“, fügte Lillian hinzu, eilte zum Frisiertisch und griff nach der kleinen cremfarbenen Tasche. „So – jetzt bin ich auch fertig.“
Annabelle, die sich Mercedes’ Antipathie durchaus bewusst war, lächelte freundlich. „Guten Abend, Mrs. Bowman.
Ich hoffte, Daisy und Lillian dürften mich nach unten begleiten.“
„Ich fürchte, das wird warten müssen, bis ich fertig bin“, erwiderte Mercedes kühl. „Meine beiden unschuldigen Mädchen bedürfen der Aufsicht einer Anstandsdame.“
„Annabelle wird unsere Anstandsdame sein“, sagte Lillian strahlend. „Immerhin ist sie jetzt eine respektable, verheiratete Matrone, erinnerst du dich?“
„Ich sagte, eine …“, widersprach ihre Mutter, aber ihre Proteste verhallten ungehört, als ihre Töchter das Zimmer verließen und die Tür hinter sich schlossen.
„Ich Arme“, sagte Annabelle und lachte hilflos, „das war das erste Mal, dass mich jemand eine respektable, verheiratete Matrone nannte. Das klingt ziemlich langweilig, oder?“
„Wenn du langweilig wärst“, erwiderte Lillian und hängte sich bei ihr ein, während sie den Gang entlangschlenderten, „dann würde Mutter mit dir einverstanden sein …“
„… und wir würden nichts mit dir zu tun haben wollen“, fügte Daisy hinzu.
Annabelle lächelte. „Trotzdem – wenn ich nun schon die offizielle Anstandsdame der Mauerblümchen sein muss, dann sollte ich ein paar grundsätzliche Verhaltensregeln aufstellen. Erstens: Falls ein gut aussehender junger Gentleman vorschlägt, dass ihr mit ihm in den Garten hinausgeht…“
„Dann sollen wir ablehnen?“, fragte Daisy.
„Nein, nur mir davon erzählen, damit ich euch decken kann. Und solltet ihr zufällig etwas skandalösen Klatsch belauschen, der für eure unschuldigen Ohren nicht bestimmt war …“
„Dann ignorieren wir das?“
„Nein, dann lauscht ihr auf jedes Wort, kommt später zu mir und erzählt mir alles haarklein.“
Lillian lächelte und blieb zwischen zwei Gängen stehen. „Sollen wir versuchen, Evie zu finden? Erst wenn sie bei uns ist, wird es ein offizielles Mauerblümchentreffen.“
„Evie ist schon unten, gemeinsam mit ihrer Tante Florence“, erwiderte Annabelle.
Beide Schwestern nahmen diese Neuigkeit begeistert auf. „Wie geht es ihr? Wie sieht sie aus?“
„Oh, es ist eine Ewigkeit her, seit wir sie zum letzten Mal gesehen haben.“
„Evie scheint es ganz gut zu gehen“, sagte Annabelle und wurde ernst. „Obwohl sie etwas dünner geworden ist.
Und vielleicht ein wenig mutlos.“
„Wer wäre das nicht“, meinte Lillian finster. „So, wie man sie behandelt hat.“
Es war viele Wochen her, seit eine von ihnen Evie begegnet war, die von der Familie ihrer verstorbenen Mutter sehr abgeschirmt wurde, ja beinah isoliert leben musste. Als Strafe für kleine Vergehen wurde sie hin und wieder allein eingesperrt und durfte nur unter der strengen Aufsicht ihrer Tante nach draußen. Die Freundinnen vermuteten, dass das Leben mit diesen groben und lieblosen Verwandten nicht wenig zu Evies Schwierigkeiten beim Sprechen beigetragen hatte. Ironischerweise war Evie diejenige der Mauerblümchen, die eine solche strenge Überwachung am wenigsten verdiente. Von Natur aus war sie scheu und äußerst respektvoll gegenüber Autoritäten.
Wie es schien, war Evies Mutter die Rebellin der Familie gewesen und hatte einen Mann geheiratet, der im Rang deutlich unter ihr stand. Nachdem sie im Kindbett gestorben war, hatte ihre Tochter für diese Verirrung büßen müssen. Und ihr Vater, den Evie nur selten zu sehen bekam, war sehr krank und hatte vermutlich nicht mehr lange zu leben.
„Arme Evie“, fuhr Lillian bekümmert fort. „Ich bin sehr in Versuchung, ihr meinen Platz als nächstes Mauerblümchen, das heiraten sollte, zu überlassen. Sie braucht dieses Entkommen weit dringender als ich.“
„Evie ist noch nicht so weit“, sagte Annabelle mit einer Überzeugung, die sofort verriet, dass auch sie schon darüber nachgedacht hatte. „Sie bemüht sich, ihre Schüchternheit abzulegen, aber bislang gelingt es ihr noch nicht einmal, mit
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