Herbstfeuer
davor, mir jemals von einer Frau einen Ring durch die Nase ziehen zu lassen – oder schlimmer noch, dabei noch so vergnügt zu wirken.“
Das war eine Empfindung, der Marcus nur zu gern bereit war zuzustimmen.
Dennoch, als die vier Männer das Arbeitszimmer verließen, musste Marcus daran denken, dass Simon Hunt in den Fesseln der Ehe ganz unerwartet zufrieden wirkte. Dabei war er – abgesehen von St. Vincent – der überzeugteste Junggeselle gewesen, den Marcus je gekannt hatte. Auch weil er besser als jeder andere wusste, wie sehr Hunt an seiner Freiheit gehangen hatte und wie unzureichend die Zahl seiner angenehmen Beziehungen zu Frauen gewesen war, hatte es Marcus erstaunt, wie bereitwillig Hunt seine Unabhängigkeit aufgegeben hatte. Und das auch noch für eine wie Annabelle, die zuerst nur wie eine oberflächliche, selbstsüchtige Frau auf der Jagd nach einem Ehemann gewirkt hatte. Doch allmählich hatte sich gezeigt, dass das Paar einander ungewöhnlich zugetan war, und Marcus war gezwungen zuzugeben, dass Hunt für sich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
„Kein Bedauern?“, flüsterte er Hunt zu, während sie die Halle durchquerten, in einigem Abstand gefolgt von Shaw und St. Vincent.
Hunt lächelte fragend. Er war ein großer, dunkelhaariger Mann, der mit Marcus ein auffallend männliches Erscheinungsbild und das Interesse an Jagd und Sport gemeinsam hatte. „In Bezug auf was?“
„Von einer Frau an einem Nasenring geführt zu werden.“
Hunt grinste breit und schüttelte den Kopf. „Falls meine Frau mich tatsächlich an einem Ring führt, dann geht dieser bestimmt nicht durch die Nase. Und nein, ich bedaure es nicht.“
„Vermutlich bringt eine Heirat einiges an Bequemlichkeit mit sich“, überlegte Marcus laut. „Eine Frau in der Nähe zu haben, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, gar nicht davon zu reden, dass eine Gemahlin vermutlich billiger ist als eine Mätresse. Außerdem ist die Frage eines Erben zu bedenken …“
Hunt lachte über diesen Versuch, das Thema praktisch zu diskutieren. „Ich habe Annabelle nicht aus Bequemlichkeit geheiratet. Und selbst wenn ich darüber nicht Buch führe, so kann ich dir versichern, dass sie keinesfalls billiger ist als eine Mätresse. Was die Erben betrifft, nun – das war das Letzte, woran ich dachte, als ich ihr einen Antrag machte.“
„Warum hast du es dann getan?“
„Ich würde es dir ja sagen, aber es ist noch nicht lange her, da sagtest du, du hofftest, ich würde nicht – wie hast du es ausgedrückt? – ‚die Luft mit süßlichen Gefühlsäußerungen verpesten.‘“
„Du glaubst, du liebst sie.“
„Nein“, erwiderte Hunt gelassen. „Ich liebe sie.“
Marcus zuckte die Achseln. „Wenn es dir hilft, die Ehe zu ertragen, indem du daran glaubst, dann soll es so sein.“
„Himmel, Westcliff …“, murmelte Hunt lächelnd, bevor er neugierig fragte: „Warst du nie verliebt?“
„Natürlich. Offensichtlich habe ich festgestellt, dass manche Frauen anderen gegenüber vorzuziehen sind, was ihr Verhalten und ihr Aussehen …“
„Nein, nein, nein. Ich meine nicht, ob du die eine der anderen vorziehst. Ich meine, ob du von einer Frau vollkommen betört warst, sie dich mit Verzweiflung, Sehnsucht, Verlangen erfüllte …“
Marcus warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Für solchen Unsinn habe ich keine Zeit.“
Hunt lachte nur vielsagend, wie Marcus verärgert feststellte. „Dann wird Liebe keine Rolle spielen bei deiner Entscheidimg, wen du heiratest?“
„Absolut nicht. Eine Heirat ist eine zu wichtige Angelegenheit, um sie von Gefühlen bestimmen zu lassen.“
„Vielleicht hast du recht“, stimmte Hunt leichthin zu. Ein wenig zu leichthin, als glaubte er selbst nicht, was er da gerade sagte. „Ein Mann wie du sollte seine Gemahlin nach logischen Gesichtspunkten auswählen. Ich würde zu gern sehen, wie dir das gelingt.“
Sie erreichten einen der Empfangsräume, wo Livia taktvoll die Gäste darauf hinwies, sich für den formalen Einzug in den Speisesaal bereitzuhalten. Kaum hatte sie Marcus gesehen, warf sie ihm einen finsteren Blick zu, denn bisher hatte er sie alles allein erledigen lassen. Gelassen erwiderte er ihren Blick. Als er weiterging, sah Marcus, dass Thomas Bowman und seine Gemahlin Mercedes direkt zu seiner Rechten standen.
Marcus schüttelte Bowman die Hand, einem ruhigen, schwerknochigen Mann mit einem dichten Schnurrbart, der sehr im Gegensatz zu seiner Kopfbehaarung
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