Herbstfeuer
sie kämpfen, um sich im Sattel zu halten, fing den Aufprall hauptsächlich mit dem rechten Schenkel ab und empfand einen kurzen, heftigen Schmerz. Doch sie hatte es geschafft.
Mit einem triumphierenden Lächeln wendete sie das Pferd und bemerkte die überraschten Blicke der Umstehenden, die sich zweifellos wunderten, wie es zu diesem überraschenden Sprung gekommen war. Plötzlich erschreckte sie, als unter donnernden Hufen ein dunkler Schatten neben ihr auftauchte. Sie war so verwirrt, dass sie sich nicht einmal zu wehren vermochte, als sie buchstäblich aus dem Sattel gerissen und auf einen unerwartet harten Untergrund gezerrt wurde. Während sie hilflos über Westcliffs muskulösen Schenkeln lag, brachte er sie mehrere Yards weit weg, ehe er sein Pferd anhielt und sie mit sich zu Boden zog. Schmerzhaft umklammerte er ihre Schultern, und sein Gesicht kam dem ihren sehr nahe.
„Glaubten Sie, mich mit diesem Unsinn von irgendetwas zu überzeugen?“, stieß er hervor und schüttelte sie leicht.
„Meine Pferde zu reiten ist ein Privileg, das ich meinen Gästen biete – ein Privileg, das Sie soeben verloren haben.
Von jetzt an dürfen Sie nicht einmal daran denken, auch nur einen Fuß in die Nähe der Stallungen zu setzen, sonst werfe ich Sie eigenhändig von meinem Anwesen.“
Ebenso bleich vor Zorn wie er, erwiderte Lillian: „Lassen Sie mich sofort los, Sie verdammter Grobian!“ Zufrieden bemerkte sie, wie er bei ihrem Fluch die Augen zusammenkniff. Doch sein schmerzhafter Griff lockerte sich nicht, und sein Atem ging so heftig, als hätte er sie am liebsten geschlagen. Während sie einander in die Augen sahen, fühlte sie, wie die Luft zwischen ihnen sich mit Spannung auflud, sodass sie ihn am liebsten gestoßen, ihm wehgetan hätte, mit ihm zu Boden gesunken wäre und gerungen hätte. Kein Mann hatte sie je so sehr in Aufruhr versetzt. Wie sie so einander gegenüberstanden und sich feindselig anstarrten, wurde ihnen beiden heiß. Keiner von ihnen achtete auf die Menge der verblüfften Zuschauer, die ganz in der Nähe standen – zu sehr waren sie aufeinander fixiert.
Eine seidenweiche Männerstimme unterbrach ihre stumme, beinahe tödliche Einheit und durchdrang mühelos die Spannung.
„Westcliff – du hast mir nichts davon gesagt, dass du noch ein Unterhaltungsprogramm bietest. Sonst wäre ich früher hierhergekommen.“
„Misch dich nicht ein, St. Vincent“, fuhr Westcliff ihn an.
„Oh, nicht im Traum würde ich daran denken. Ich wollte dir nur mein Lob aussprechen dafür, wie diplomatisch du mit der Situation umgehst. Gewandt und gleichmütig.“
Der leichte Spott veranlasste den Earl, Lillian loszulassen. Sie taumelte einen Schritt zurück und wurde sofort von zwei geschickten Händen aufgefangen. Verwirrt sah sie auf und blickte direkt in das Gesicht von Sebastian, Lord St. Vincent, dem berüchtigten Schürzenjäger und Verführer.
Die Sonne schien nun wärmer und vertrieb den Nebel, sodass St. Vincents mattgoldenes Haar wie Bernstein schimmerte. Bei vielen Gelegenheiten hatte Lillian ihn schon aus der Ferne gesehen, doch man hatte sie einander nicht vorgestellt, und bei jedem Ball hatte St. Vincent die Mauerblümchen gemieden. Aus der Ferne schien er sehr attraktiv. Aus der Nähe wirkte die fremdartige Schönheit seiner Züge geradezu betäubend. St. Vincent besaß die ungewöhnlichsten Augen, die sie je gesehen hatte, hellblau und katzenhaft, umgeben von dunklen Wimpern und dunkelblonden Brauen. Seine Züge waren ebenso markant wie fein, und seine Haut schimmerte wie Bronze, die stundenlang poliert worden war. Zwar wirkte er verrucht, aber entgegen ihren Erwartungen merkte man ihm sein ausschweifendes Leben ganz und gar nicht an. Sein Lächeln besänftigte umgehend ihren Zorn. So viel Charme sollte verboten werden.
St. Vincent drehte sich zu Westcliff um. „Soll ich den Übeltäter zurück zum Haus führen, Mylord?“
Der Earl nickte. „Bring sie hier fort“, murmelte er, „ehe ich etwas sage, das ich bedauern könnte.“
„Trauen Sie sich doch, und sprechen Sie es aus“, fuhr Lillian ihn an.
Hastig schob St. Vincent sie hinter seinen Rücken. „Westcliff, deine Gäste warten. Und auch wenn ich sicher bin, dass sie dieses faszinierende Schauspiel genießen, so werden doch die Pferde allmählich unruhig.“
Der Earl schien einen kurzen, aber heftigen Kampf mit sich selbst auszufechten, bevor es ihm gelang, genügend Selbstdisziplin aufzubringen, um eine
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