Herbstfeuer
gestürzt hätte. „Dieser arrogante, aufgeblasene …“
„Nicht doch“, hörte sie St. Vincent sagen. „Westcliff ist in schlechter Stimmung, und ich würde ihn nur ungern zu Ihrer Verteidigung fordern. Mit dem Degen kann ich ihn jederzeit schlagen, nicht aber mit Fäusten.“
„Warum nicht?“, wollte Lillian wissen. „Sie haben eine größere Reichweite als er.“
„Er hat den stärksten rechten Haken, dem ich je begegnet bin. Und ich habe die unglückliche Angewohnheit, mein Gesicht zu decken – was mich gelegentlich ungeschützt Körpertreffern aussetzt.“
Widerstrebend lachte Lillian. Während der Ärger allmählich verrauchte, dachte sie daran, dass man ihm kaum vorwerfen konnte, ein solches Gesicht schützen zu wollen. „Haben Sie oft gegen den Earl gekämpft?“
„Nicht mehr, seit wir Schuljungen waren. Westcliff war in allem ein wenig zu perfekt – dann und wann musste ich ihn herausfordern, um sicherzugehen, dass seine Eitelkeit nicht zu übermächtig wurde. Hier – sollen wir den schöneren Weg durch den Garten wählen?“
Lillian zögerte und erinnerte sich an die zahlreichen Geschichten, die sie über ihn gehört hatte. „Ich weiß nicht, ob das klug wäre.“
St. Vincent lächelte. „Und wenn ich mein Ehrenwort gebe, dass ich Ihnen keine Avancen machen werde?“
Lillian dachte darüber nach und nickte dann. „In diesem Fall, gut.“
St. Vincent geleitete sie durch ein kleines Wäldchen und dann zu einem mit Kies bestreuten Pfad, der von Eiben überschattet wurde. „Ich sollte Ihnen vielleicht sagen“, bemerkte er beiläufig, „dass mein Ehrgefühl vollständig unentwickelt ist, sodass meine Versprechen wertlos sind.“
„Dann sollte ich Ihnen sagen, dass mein rechter Haken zehnmal so gefährlich ist wie der Westcliffs.“
St. Vincent lächelte. „Sagen Sie mir, Liebes, wie konnte es so viel böses Blut geben zwischen Ihnen und Westcliff?“
Erschrocken über das so beiläufig geäußerte Kosewort, wollte Lillian ihn zunächst zurechtweisen, überlegte es sich dann aber anders. Schließlich war es sehr freundlich von ihm gewesen, auf seinen Morgenritt zu verzichten und sie zum Herrenhaus zurückzubegleiten. „Ich fürchte, es war ein Fall von Hass auf den ersten Blick“, sagte sie. „Ich halte den Earl für einen Grobian und er mich für eine boshafte Range.“ Sie zuckte die Achseln. „Vielleicht haben wir beide recht.“
„Ich glaube, keiner hat recht“, meinte St. Vincent.
„Nun – ich bin so etwas wie eine Range“, räumte Lillian ein.
Nur schwer gelang es ihm, seine Belustigung zu unterdrücken, um seine Lippen zuckte es. „Tatsächlich?“
Sie nickte. „Ich setzte gern meinen Willen durch und bin sehr verstimmt, wenn es mir nicht gelingt. Schon häufig hat man mir gesagt, dass mein Temperament dem meiner Großmutter ähnelt, die als Wäscherin an den Docks arbeitete.“
Die Vorstellung, mit einer Waschfrau verwandt zu sein, schien St. Vincent zu gefallen. „Standen Sie Ihrer Großmutter sehr nahe?“
„Oh, sie war hinreißend. Sie war klug und hatte ein schnelles Mundwerk, und oft sagte sie Dinge, über die man lachen konnte, bis einem der Bauch wehtat. Oh – Verzeihung. Vermutlich hätte ich das Wort ‚Bauch‘ nicht in Gegenwart eines Gentleman erwähnen dürfen.“
„Ich bin schockiert“, erwiderte St. Vincent mit ernster Miene. „Aber ich werde es überstehen.“ Er sah sich um, als wollte er sichergehen, dass niemand ihn belauschte, und flüsterte dann verschwörerisch: „Ich bin nicht wirklich ein Gentleman, wissen Sie.“
„Sie sind doch ein Viscount, oder nicht?“
„Das ist keineswegs gleichbedeutend mit Gentleman. Sie wissen nicht allzu viel über den Adel, oder?“
„Ich fürchte, ich weiß bereits mehr, als es mir lieb ist.“
St. Vincent lächelte. Er schien neugierig. „Und da dachte ich doch, Sie hätten die Absicht, einen von uns zu heiraten. Irre ich mich, oder sind Sie und Ihre jüngere Schwester nicht wie diese Dollarprinzessinnen, die aus den Kolonien hierhergebracht wurden, um adlige Ehemänner zu finden?“
„Die Kolonien?“, wiederholte Lillian. „Falls Sie es noch nicht gehört haben sollten, Mylord – wir haben den Unabhängigkeitskrieg gewonnen.“
„Ah. An jenem Tag muss ich es versäumt haben, die Zeitung zu lesen. Aber um meine Frage zu beantworten …“
„Ja“, sagte Lillian und errötete ein wenig. „Unsere Eltern brachten uns hierher, damit wir Ehemänner finden. Sie
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