Herbstfeuer
hatte. „Sie sind bemerkenswert offen, was Ihre bösen Absichten angeht. Ich frage mich, ob ich mir wirklich Sorgen machen muss.“
Statt einer Antwort erhielt sie nur ein rätselhaftes Lächeln.
Nachdem sie sich von Lord St. Vincent getrennt hatte, stieg Lillian die Stufen zu der weitläufigen hinteren Terrasse hinauf, wo sie Gelächter und aufgeregte Frauenstimmen hörte. Um einen der Tische standen zehn junge Frauen, die in eine Art Spiel oder Versuch vertieft waren. Sie beugten sich über eine Reihe von Gläsern, die mit verschiedenen Flüssigkeiten gefüllt waren, während eine von ihnen, deren Augen verbunden waren, ihre Finger in eines davon tauchte. Was immer das Ergebnis sein mochte, es rief Gelächter und Bemerkungen hervor. Eine Gruppe von Matronen saß daneben und beobachtete das Geschehen ebenso aufmerksam wie belustigt.
Lillian entdeckte in der Gruppe ihre Schwester und ging zu ihr. „Was ist das?“, fragte sie.
Überrascht drehte Daisy sich zu ihr um. „Lillian“, flüsterte sie und legte der Schwester einen Arm um die Taille.
„Warum kommst du so früh zurück? Hattest du Schwierigkeiten mit dem Parcours?“
Während das Spiel weiterging, zog Lillian sie beiseite. „Das kann man wohl sagen.“ Eilig berichtete sie von den Ereignissen des Morgens.
Daisy machte große Augen. „Gütiger Himmel“, flüsterte sie. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Lord Westcliff so die Fassung verliert. Und das deinetwegen. Aber was hast du dir nur dabei gedacht, Lord St. Vincent so etwas tun zu lassen?“
„Ich hatte Schmerzen“, flüsterte Lillian zu ihrer Verteidigung zurück. „Ich konnte nicht nachdenken. Mich nicht einmal bewegen. Wenn du jemals einen Muskelkrampf gehabt hättest, wüsstest du, wie weh das tut.“
„Lieber würde ich mein Bein ganz verlieren als jemanden wie Lord St. Vincent auch nur in die Nähe zu lassen“, sagte Daisy leise. Nachdem sie die Situation einen Moment bedacht hatte, konnte sie sich die Frage nicht verkneifen: „Wie war es?“
Lillian unterdrückte ein Lachen. „Wie soll ich das wissen? Kaum tat mein Bein nicht mehr weh, war seine Hand fort.“
„Verflixt.“ Daisy runzelte die Stirn. „Glaubst du, er wird es jemandem erzählen?“
„Aus irgendeinem Grund glaube ich das nicht. Er scheint ein Gentleman zu sein, selbst wenn er das Gegenteil behauptet.“ Stirnrunzelnd fügte sie hinzu: „Weitaus mehr ein Gentleman, als es Lord Westcliff heute war.“
„Hmmm. Woher wusste er, dass du im Damensattel nicht reiten kannst?“
Lillian sah sie an. „Spiel nicht die Närrin, Daisy – es ist doch offensichtlich, dass Annabelle es ihrem Gemahl erzählt hat, der es wiederum Westcliff sagte.“
„Ich hoffe, du nimmst das Annabelle nicht übel. Es war nicht ihre Absicht, dir den Spaß zu verderben.“
„Sie hätte den Mund halten sollen“, meinte Lillian verärgert.
„Sie hatte Angst, du könntest fallen, wenn du im Damensattel springst. Diese Angst hatten wir alle.“
„Nun, ich bin nicht gefallen.“
„Es hätte aber sein können.“
Lillian zögerte, und ihre Miene entspannte sich, als sie ehrlicherweise zugeben musste: „Zweifellos hätte es passieren können.“
„Dann bist du Annabelle nicht böse?“
„Natürlich nicht“, sagte Lillian. „Es wäre ungerecht, ihr Westcliffs übles Benehmen zum Vorwurf zu machen.“
Erleichtert zog Daisy sie zurück zu dem umlagerten Tisch. „Komm, Liebes, du musst dieses Spiel versuchen. Es ist albern, aber es macht Spaß.“ Die Mädchen, alle unverheiratet und im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, rückten beiseite, um den beiden Platz zu machen. Während Daisy die Regeln erklärte, wurden Evie die Augen verbunden, und die anderen Mädchen veränderten die Positionen der vier Gläser.
„Wie du siehst“, sagte Daisy, „ist ein Glas mit Seifenwasser gefüllt, eines mit klarem Wasser und eines mit blauem Waschwasser. Das andere ist natürlich leer. Die Gläser werden vorhersagen, welche Art von Mann du heiraten wirst.“
Sie sahen zu, wie Evie vorsichtig nach einem der Gläser tastete. Dann tauchte sie die Finger in das Seifenwasser, wartete darauf, dass ihr die Augenbinde abgenommen wurde, und betrachtete enttäuscht das Ergebnis, während die anderen Mädchen kicherten.
„Das Seifenwasser bedeutet, dass sie einen armen Mann heiraten wird“, erklärte Daisy.
Während sie sich die Finger abwischte, meinte Evie gutmütig: „Vermutlich ist der Umstand, dass ich überhaupt h-heiraten
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