Herbstvergessene
keinen Job, den man mal eben zwischen neun und vier erledigt.«
»Du könntest freiberuflich arbeiten und zu mir ziehen, ich würde mich um Maja kümmern, wenn du weg bist …«
»Und meine Arbeit bei der UN in den Wind schießen? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Viele in dem Metier arbeiten als Freie und zwischendurch könntest du übersetzen …«
»Ich mache diesen Zirkus nun seit der Grundschule mit. Dieses Kind ist nicht nur verstockt, es ist außerdem faul. Wenn es wenigstens hübsch wäre.«
Sonnenstrahlen fielen durch die Flügeltüren aus Glas, die von der großen Diele ins Wohnzimmer führten, und fluteten den Raum mit Licht. Im ersten Moment war ich überwältigt, so sehr war ich wieder das Kind von damals, das verstockte und faule Kind, das noch nicht einmal hübsch war. Ich sah mich um, strich mit der Hand über den Konsoltisch und beobachtete die Staubpartikel, die wie winzige Lichtsplitter im Raum tanzten. Wie hatte sie in dieser Umgebung krank werden können, meine perfekte Mutter, Sprachtalent und weiblicher Tausendsassa?
Seit meinem letzten Mal hier hatte sich einiges verändert, aber nicht so viel, dass ich das Gesicht der Wohnung nicht wiedererkannt hätte. Langsam öffnete ich die Flügeltür, langsam betrat ich den Raum, blinzelnd und geblendet vom Sonnenlicht, in dessen Strahlen auch hier unzählige Staubpartikel schwebten. Die beigen Wände reflektierten das Licht und verstärkten den Eindruck von Raum und Weite, die Decke war hoch, stuckverziert, auch die Fenster, an die ich mich noch zu gut erinnerte, waren überlebensgroß. Links, über drei cremefarbenen Sofas, die zu einem »U« angeordnet waren, ein Tryptichon, das ich noch nicht kannte, in starken Farben, eine gelungene Mischung aus abstrakten und konkreten Elementen. In der Mitte ein Couchtisch mit einem Glaseinsatz und einer bunten Sammlung von Streichholzschachteln und -briefchenaus aller Herren Länder, zusammengetragen aus Hotels, Restaurants, Bars und Lounges. Etwas weiter rechts am Fenster Omas Sekretär, ganz Wurzelholz und Einlegearbeit und an der Wand Fotos: Mutter mit dem Generalsekretär der UN, Mutter mit Helmut Kohl, Margaret Thatcher und anderen hochrangigen Politikern. Und mittendrin, das größte Foto: Oma, Mutter und ich. Es muss eine der letzten Aufnahmen von uns gewesen sein, vor dem großen Aus vor zehn Jahren. Die Aufnahme war in Ligurien gemacht worden, wir saßen auf einer Bank vor Omas Ferienhaus, der
Casa dei Glicini
. Alle drei lachen wir in die Kamera. Ich wusste nicht, dass wir je einen so glücklichen Eindruck gemacht haben im Beisein der jeweils anderen. War das nur gestellt gewesen oder hatte ich auch die schönen Momente einfach in jene Truhe gepackt, die ich seither nicht mehr geöffnet hatte? Wie ähnlich Mutter und ich uns auf dem Bild sehen, dachte ich verblüfft. Ob
sie
das auch bemerkt hatte, fragte ich mich voller Bitterkeit. Das hässliche Kind, diese kleine Versagerin kommt letztendlich nach der Mutter, das ist ja wohl der Gipfel! Auf dem Foto sind wir beide aschblond, mit welligem Haar und dem gleichen breiten Mund, den gleichen porzellanblauen, ein wenig vorquellenden Augen. Und Oma, mit weißem Haar, das Gesicht gesprenkelt von Sommersprossen, ein Netz aus Fältchen um die Augen, die von einem dunkleren Blau waren, einem Veilchenton, mit denen sie in ihrer Jugend sicher so manchen Verehrer betört hatte. Sie war einmal eine Schönheit gewesen, ich erinnere mich, wie ich als Kind nicht genug davon bekommen konnte, die alten Bilder mit den gezackten Rändern zu sichten und sie in der Reihenfolge der »Schönheit« zu ordnen: Oma in einem duftigen Chiffonkleid, mit breitem Gürtel und tiefem Dekolleté, Oma in dunklem Kostüm und hochgestecktem Haar, eine feine kleine Tasche in der Hand. Oma im Hochzeitskleid, ganz cremefarbene Rohseide und lange Seidenhandschuhe. Mein Blick tastete sich weiter, die Wand entlang, da war ja auch die kleine handkolorierte Zeichnung mit dem Liebespaar, das ineinem weiten, sternenbedeckten Mantel steckte und das ringsumher von Dämonen und schrecklichen Gestalten umzüngelt wurde. Etwas weiter rechts, neben der Dreigenerationen-Aufnahme, blieb mein Blick an etwas hängen, das ich nun wirklich nicht erwartet hatte und das ich im ersten Moment nicht recht einordnen konnte: eine ganze Batterie von Zeichnungen, meine Zeichnungen, die ich im Laufe meiner Kindheit angefertigt hatte. Aber die hatte ich doch, soweit ich mich erinnern konnte, Oma
Weitere Kostenlose Bücher