Herbstwald
Schreibtisch stapelweise gesehen.
Der helle Besprechungstisch ihrer Einsatzzentrale war hingegen leer. Normalerweise brauchte er Platz in seinem Büro, um arbeiten zu können, ohne dabei das Gefühl zu haben, dass ihn das gesammelte Material erdrückte. Jetzt hätte er sich jedoch gewünscht, dass der Raum nicht völlig aufgeräumt wäre, um wenigstens ein bisschen das Gefühl der hektischen Betriebsamkeit in die Aufklärung dieses Mordes zu holen.
Die Fuggerei strahlt zu viel Ruhe aus. Sie ist zu idyllisch und passt nicht zu einem grausamen Mord, dachte der Kriminalanalyst.
Ein gebrauchter Kaffeebecher war das Einzige, was im Papierkorb direkt neben der Tür lag. Landhäuser war hier gewesen und hatte sich die Akte angesehen. Er sah die kleinen Klebestreifen, die seitlich zwischen der orangefarbenen Pappe hervorragten.
Er setzte sich mit dem Rücken zu den Fenstern und zog sich die Akte von Catharina Aigner heran. Er war versucht, die schmalen Klebestreifen einfach wieder abzuziehen, ohne ihren Sinn zu hinterfragen, und sie alle auf ein Blatt zu kleben, aber er ließ es sein.
Davídsson blätterte die Papiere durch und überflog sie dabei. Er fand den Antrag auf Sozialhilfe und eine mehrseitige Erklärung über die Vermögensverhältnisse, und schließlich eine Telefonnotiz, die sich ein Sachbearbeiter vor etwas mehr als drei Jahren gemacht hatte.
Es dauerte etwas, die Schrift zu entziffern, aber schließlich gelang es ihm.
Der Sachbearbeiter hatte mit jemandem gesprochen, der ihm die Anweisung gegeben hatte, Catharina Aigner ohne weitere Prüfung eine Bescheinigung auszustellen, die ihr die Aufnahme in der Fuggerei ermöglichte.
Er konnte nicht entziffern, wer hinter der Paraphe steckte, mit der die Notiz unterzeichnet worden war. Die Anweisung dazu kam von jemandem, den der Sachbearbeiter mit einem Kreuz anonymisiert hatte.
Lilian Landhäuser hatte zwei Fragezeichen auf einen gelben Streifen gemalt und diesen direkt neben die Telefonnotiz geklebt.
Davídsson stand auf und stellte sich vor das vergitterte Fenster. Diese Akte ist keine normale Akte, dachte er.
Der Holzboden unter seinen Füßen knackte und er hörte, wie jemand über den Flur hastete. Er hatte die dicken Aktenberge gesehen, die eingequetscht zwischen zwei Pappdeckeln zu namenlosen Fällen wurden.
Die Akten in einem Sozialamt bestanden nicht nur aus wenigen Seiten. Der Staat brauchte eine Menge Informationen, bevor er ein paar magere Euros zum Überleben aus seinem Besitz gab. Da mussten Urkunden und Beglaubigungen herangeschafft werden und eidesstattliche Versicherungen abgegeben werden, bevor man für eine Behörde überhaupt existierte. Catharina Aigners Unterlagen hatten nichts von alledem. Es gab nicht einmal eine Geburtsurkunde, aus der sie schließen konnten, wer ihre Eltern waren.
Seine Blicke wanderten zu den Patrizierhäusern gegenüber. In einer Bar saßen ein paar Männer und tranken Bier, während sich die zwei Angestellten des danebenliegenden Friseursalons miteinander unterhielten. Eine der beiden Frauen blätterte gelangweilt in den Hochglanzmagazinen, die sonst den Kunden die Wartezeit verkürzten. Es musste das dritte oder vierte Mal sein, denn die Friseurin sah sich nicht einmal mehr die vielen bunten Bilder an.
Davídssons Sicht auf den Laden wurde unterbrochen. Eine Straßenbahn bewegte sich träge stadtauswärts über die Gleise und gab dabei furchtbare Geräusche von sich. Es klang beinahe so, als ob sie die Gleise mit ihren gusseisernen Rädern quälen würde. Sobald die klirrenden Geräusche abgeebbt waren, begann das Glockenspiel der Jakobskirche den Raum zu erfüllen, als hätten sie sich in der Reihenfolge abgesprochen.
Vielleicht bestand ja ein Zusammenhang zwischen Sankt Markus in der Fuggerei und Catharina Aigners Akte? Hatte der Messpriester beim Sozialamt ein gutes Wort für ihre Aufnahme in der Fuggerei eingelegt und das Kreuz in der Telefonnotiz sollte genau das bedeuten? War das Symbol in der Akte überhaupt ein Kreuz oder doch eher ein Stern?
Er wollte gerade nachsehen, als Lilian Landhäuser den Raum betrat. Hofbauer und Schedl folgten ihr, und Davídsson warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach halb vier. Sie hatten sich zu einer Besprechung verabredet, die er beinahe vergessen hätte.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, begann Schedl, nachdem sich alle auf ihre Stühle gesetzt hatten. Der Platz des Pathologen war frei geblieben. Vielleicht würde sich jemand
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