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Herbstwald

Herbstwald

Titel: Herbstwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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und schüttelte den Kopf.
    Davídsson hielt ihr die andere Aufnahme hin und Elisabeth Hübner setzte ihre Brille wieder auf. Sie passte zu ihrem schmalen Gesicht und den zarten Zügen, und trotzdem schien sie sie nicht gerne zu tragen.
    Die Fotografie der älteren Dame war deutlich besser gelungen. Ihr grauweißes Haar sah gepflegt aus.
    Davídsson konnte ihre Verärgerung in den Augen und dem Gesicht erkennen, das bereits einige Falten hatte. Die Perlenkette, die sie sich in zwei Bahnen um den Hals gelegt hatte, war verrutscht und klebte jetzt auf ihrer linken Schulter. Offensichtlich war sie gerade dabei gewesen, von ihrem Platz aufzustehen, um sich bei Catharina Aigner über den Lärm zu beschweren, als die Straßenbahn um eine Kurve fuhr und sie für ein paar Sekunden das Gleichgewicht verlor. Davídsson wusste, dass sie sich auf den Beinen halten konnte und dass ihre Energie und Verärgerung ausgereicht hatten, um die beiden Störenfriede anzusprechen.
    »Ich glaube, das ist Frau Künzler, aber ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte Elisabeth Hübner schließlich.
    »Woher kennen Sie Frau Künzler?« Ólafur Davídsson nahm die Aufnahme an sich, hielt sie aber so, dass Elisabeth Hübner sie immer noch sehen konnte.
    »Sie wohnt hier in der Fuggerei.«
    »Können Sie mir den vollständigen Namen und die Adresse nennen?«
    »Die Adresse weiß ich jetzt nicht aus dem Kopf, aber sie ist eine von den vier Nachtwächtern. Soweit ich die Liste noch im Kopf habe, hat sie heute Nacht Dienst. Sie heißt Emma Künzler.« Für einen Moment huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. »Ich gebe Frau Gruber Bescheid. Sie wird Ihnen die Hausnummer dann heraussuchen.«

8
    D avídsson verließ das Verwaltungsgebäude eine halbe Stunde nach den anderen. Im Friseurladen gegenüber waren die Lichter ausgegangen, bevor er seine Sachen zusammengepackt hatte. Die Friseurinnen langweilten sich nicht länger in einem leeren Laden.
    Aus der Kneipe hörte man die Bässe durch gekippte Fenster. Sie war nicht voller geworden. Noch immer saßen die gleichen Gestalten hinter ihrem Bier und betrachteten es, als könnte man darin die Zukunft erkennen, die sie anschließend Schluck für Schluck wegspülten, bis sie nicht mehr da war.
    Er hatte die Kopie der Ermittlungsakte mit seinen Aufzeichnungen zu einem Schnellhefter verbunden, den er nun auf den Rücksitz seines Wagens legte. Die Fotos von dem Jungen waren nicht dabei. Sie steckten in der Innenseite seines Mantels. Er hatte vor, sie allen Personen zu zeigen, die etwas mit dem Fall zu tun hatten.
    In der Fuggerei war Ruhe eingekehrt. Die Gaslampen surrten leise vor sich hin.
    Ólafur Davídsson beobachtete ein junges Pärchen, das die Herrengasse entlangschlenderte.
    Sie waren die Einzigen, die er in der Dunkelheit sehen konnte.
    Obwohl es begonnen hatte zu nieseln, blieb er einen Moment auf der Gasse stehen und lauschte dem Nichts.
    Die Heiligenfigur an der Hausecke des Markusplätzles wurde von der Kirche angestrahlt. Es sah beinahe so aus, als hätten die Erbauer geplant, dass über dem Erzengel Michael ein Heiligenschein schwebte, wenn in der Kirche die Beleuchtung eingeschaltet war.
    Aus Sankt Markus erklang die Kabinettsorgel, von der Ólafur Davídsson gelesen hatte, dass sie bereits 1750 in der Werkstatt der Familie Teschemacher in Elberfeld entstanden war. Sie hatte offensichtlich beide Weltkriege überlebt und eine bewegte Zeit hinter sich gebracht, ohne dabei Schaden zu nehmen.
    Davídsson betrat die Kirche. Der einzige Zugang befand sich an der Längsseite des Gotteshauses, und so richteten sich alle Augen auf ihn, als er sich in die letzte Reihe unter die Orgelempore auf eine kalte Holzbank setzte. Er hatte mehr aus Verlegenheit als aus Interesse einen kurzen Blick auf den verstaubten Wandteppich mit dem Wappen der Fugger über der Orgelbrüstung geworfen, der 1956 im Benediktinerkloster Sankt Walburg in Eichstätt gewebt worden war.
    Der Gottesdienst war noch nicht vorüber. Davídsson hatte nach dem Orgelspiel gehofft, dass es so wäre, aber der Priester sprach erst das Tagesgebet.
    Davídsson betete nicht mit, sondern betrachtete das Deckenfresko mit den verschiedenen Wappen der Fugger. Die darüberliegende Kassettendecke war im 16. Jahrhundert entstanden und stammte aus dem Stiftungshaus bei Sankt Anna.
    Das Gebet endete mit dem »Amen« der Anwesenden, von denen die meisten in ihren Mänteln in der ungeheizten Kirche saßen. Er war mit Abstand der jüngste Besucher.
    Der

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