Hercule Poirots Weihnachten
Familienoberhaupt…»
Alfred schien aus tiefen Träumen aufzufahren.
«Wie bitte? Wenn alle gleichzeitig schreien und auf mich einreden – das verwirrt mich.»
«Hilda hat Recht, wir benehmen uns wie gierige, ungezogene Kinder», sagte Lydia. «Versuchen wir doch, die Probleme ruhig und wenn möglich eines nach dem anderen zu besprechen. Du bist der Älteste, Alfred. Was, meinst du, sollen wir in Bezug auf Pilar tun?»
«Natürlich müssen wir ihr hier ein Heim schaffen und ihr einen monatlichen Zuschuss gewähren. Auf das Geld ihrer Mutter hat sie meiner Ansicht nach keinerlei rechtlichen Anspruch. Sie ist keine Lee, vergiss das nicht. Sie ist spanische Staatsbürgerin.»
«Keinen rechtlichen Anspruch – das mag stimmen», wandte Lydia ein. «Aber ich finde, dass sie einen moralischen Anspruch auf dieses Erbteil hat. Euer Vater hat seiner Tochter genauso viel hinterlassen wie George, David und Harry, und das, obgleich sie gegen seinen Willen einen Spanier geheiratet hatte. Jennifer ist erst letztes Jahr gestorben. Ich bin überzeugt, dass er Mr Charlton nur deshalb herzukommen bat, weil er in einem neuen Testament wenigstens den Vermögensanteil Jennifers auf Pilar übertragen lassen wollte. Vielleicht hätte er dem Mädchen sogar noch mehr hinterlassen. Sie war sein einziges Enkelkind, das dürft ihr nicht vergessen. Das Mindeste, was wir also tun können, ist, eine Ungerechtigkeit gutzumachen, die euer Vater selber gutzumachen gewillt war.»
«Bravo, Lydia!», rief Alfred warm. «Du hast doch vollkommen Recht. Ich bin einverstanden, dass Pilar Jennifers Anteil an Vaters Vermögen bekommen muss.»
«Und du, Harry?», fragte Lydia.
«Du weißt, dass ich einverstanden bin. Ich finde, Lydia hat die Sachlage sehr klar geschildert, und ich muss sagen, dass ich sie dafür bewundere.»
«George?»
George war krebsrot und zitterte förmlich vor Aufregung. «Nein! Ich bin dagegen! Das Ganze ist eine unerhörte Zumutung. Gebt ihr ein Heim und ein anständiges Taschengeld. Das ist mehr als genug für sie.»
«Er hat ganz Recht», piepste Magdalene dazwischen. «Es wäre ungeheuerlich, wenn er eurem Vorschlag zustimmen würde. Wenn man bedenkt, dass George der Einzige der Familie ist, der jemals etwas getan hat in der Welt, dann ist es ohnehin eine Schande, dass sein Vater ihm nicht mehr hinterlassen hat.»
«David?»
«Oh, ihr habt bestimmt Recht», murmelte David unsicher. «Es ist nur so grässlich, dass so viel Streit und hässliche Worte um diese Sache entstehen müssen.»
«Ich stimme dir auch bei, Lydia, dein Vorschlag ist nur gerecht», sagte Hilda.
Harry sah sich im Kreis um.
«Also, dann ist ja alles klar. Alfred. David und ich sind dafür - George ist dagegen. Die Ja-Stimmen haben die Mehrheit.»
«Es handelt sich hier nicht um Ja- oder Nein-Stimmen», fuhr George ihn gehässig an. «Mein Anteil an Vaters Vermögen ist ganz und ungeteilt mein Eigentum. Ich werde keinem Menschen einen Penny davon geben.»
«Allerdings nicht!» Ein triumphierender Aufschrei Magdalenes.
Nun sprach Lydia schärfer.
«Bitte, das ist eure Sache. Dann wird Jennifers Anteil eben von uns anderen aufgebracht.»
Sie sah sich um, und die Brüder, außer George, nickten Zustimmung.
Harry sagte: «Da Alfred den Löwenanteil geerbt hat, könnte er in diesem Fall auch den größeren Teil zahlen.»
Und Alfred gab höhnisch zurück: «Ich merke, dass deine anfängliche Großzügigkeit bereits erheblich ins Wanken gerät.»
«Fangt jetzt nicht wieder an!», fuhr Hilda dazwischen. «Lydia soll Pilar sagen, dass wir einen Entschluss gefasst haben. Die Einzelheiten können wir nachher besprechen.» Und in der Hoffnung, die gereizten Gemüter vom Thema abzulenken, fragte sie: «Wo steckt eigentlich Mr Farr? Und Mr Poirot?»
«Wir haben Mr Poirot ins Dorf mitgenommen, als wir zur Totenschau fuhren», sagte Alfred. «Er hatte eine wichtige Besorgung zu machen.»
«Wer ist denn da draußen im Garten? Mr Farr oder Inspektor Sugden?», rief Lydia.
Die Ablenkungsmanöver der beiden Frauen waren erfolgreich. Der Familienrat wurde aufgehoben. Lydia zog Hilda ein wenig beiseite. «Danke, Hilda, es war lieb von dir, mir den Rücken zu stärken. Du bist wirklich ein Trost in all dem Durcheinander.»
«Merkwürdig, wie Geld die Menschen aufregen kann», sagte Hilda nachdenklich.
Die anderen waren hinausgegangen, und die beiden Frauen blieben allein zurück.
«Ja – sogar Harry, obwohl der Vorschlag von ihm ausging. Und mein armer
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