Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
genügt, einen einzigen davon zu bauen!«
Nun war Charlotte doch verblüfft. Oder vielleicht träumte sie das hier in Wahrheit nur. Vielleicht hockte sie immer noch in irgendeinem Flugzeugsitz, mit verrenktem Hals und schmerzenden Waden, schlief schlecht und träumte nur, sie sei schon da. Traumgestalten sagten solche merkwürdigen Dinge.
»Einen einzigen?«, wiederholte sie. »Wie soll das gehen? Ein einziger Roboter kann schließlich unmöglich für alle Menschen zugleich arbeiten. Oder?«
Hiroshi grinste immer noch. Sein Grinsen schien sich von seinem Gesicht abzulösen und im Raum auszubreiten. »Das muss er auch nicht. Er muss nicht für alle Menschen zugleich arbeiten. Aber überleg mal: Ein Roboter, der alles tun kann, was auch ein Mensch tun kann, muss logischerweise imstande sein, einen weiteren Roboter wie sich selbst zu bauen, eine identische Kopie seiner selbst. Dann sind es schon zwei. Die können wiederum Kopien ihrer selbst anfertigen, dann sind es schon vier. Und so geht das weiter, immer schneller. In der nächsten Runde sind es sechzehn Roboter, dann zweiunddreißig, vierundsechzig … Das ist eine exponentielle Funktion. Nach etwa sechzig Durchgängen wären genügend Roboter vorhanden, um jedem Menschen auf der Erde einen davon zu geben. Und man kann damit beliebig lange weitermachen, je nachdem, wie vieleRoboter man haben möchte.« Er richtete sich auf, lehnte sich zurück und fuhr sich mit beiden Händen über die Haare. »Das war die Idee, die der zehnjährige Hiroshi damals auf der Schaukel gehabt hat.«
Charlotte verspürte gereizte Enttäuschung. Wenn sie das alles hier nicht doch träumte, dann durfte man sich schon fragen, ob es das wert gewesen war, dafür um die halbe Welt zu reisen. Okay, für einen Zehnjährigen war die Idee nicht schlecht. Aber daran festzuhalten bis ins Erwachsenenalter, das war zumindest merkwürdig.
Sie schob das Glas von sich, bewegte ihren Kopf, versuchte die Verspannungen im Nacken durch Dehnen zu lösen.
»Und das hast du hier vor?«, fragte sie schroffer, als sie es beabsichtigt hatte. »Einen solchen Roboter zu bauen?« Schrullig, sich dazu auf eine derart abgelegene Insel zu begeben. Wären eine große Fabrik oder ein gut ausgestattetes Laboratorium nicht geeignetere Orte gewesen?
»Nein«, sagte Hiroshi. »Das habe ich nicht vor. Denn natürlich ist es nicht so einfach, wie ich mir das damals als Zehnjähriger vorgestellt habe.«
»Sag bloß.«
»Wie gesagt, als Kind stellt man sich manche Dinge zu leicht und andere zu schwierig vor. Der grundlegende Denkfehler liegt in diesem Fall in der Idee, ein Mensch könne einen Roboter bauen. Das ist ein Irrtum. Kein Mensch kann das.«
Charlotte blinzelte wieder. Ihre Augen brannten. »Wieso? Es werden doch Roboter gebaut, oder etwa nicht?«
»Schon. Aber ein einzelner Mensch kann, auf sich allein gestellt, nicht einmal einen Kugelschreiber herstellen. Geschweige denn einen solchen Roboter. Für die Herstellung derartiger Dinge braucht man jede Menge Material, Halbfertigzeuge, die andere Menschen hergestellt haben. In Wirklichkeit ist es unsere technische Zivilisation als Ganzes, die Kugelschreiber, Mobiltelefone, Autos, Hochhäuser oder Flugzeuge hervorbringt. Oder eben Roboter. Der einzelne Mensch ist nur ein Teil einer Funktionsmatrix.Der einzelne Mensch erfüllt lediglich eine Teilaufgabe, die mit anderen Teilaufgaben auf eine Weise vernetzt ist, dass am Schluss Produkte und Dienstleistungen entstehen.«
»Also geht es nicht. Dass jeder reich ist, meine ich.«
»Doch. Aber man muss es anders angehen.«
»Und wie?«
Hiroshi neigte den Kopf, lächelte sanft. »Du bist zum Umfallen müde, Charlotte. Und es dauert ziemlich lange, das zu erklären. Ich zeig es dir morgen.«
Das ging nicht im Sitzen, und das ging nicht hier am Schreibtisch. Adamson stand auf, trug die Blaupause hinüber in die Sitzecke und breitete sie auf dem niedrigen Besprechungstisch aus. Dann stellte er sich davor und betrachtete, was darauf eingezeichnet war.
»Was gibt es dazu an weiteren Unterlagen?«, fragte er.
»Nur weitere Pläne«, erklärte Roberta Jacobs.
Okay. Also hieß es, selber dahinterzukommen.
Vielleicht wollte sie auch nur sehen, wie er sich dabei anstellte.
Adamson atmete mehrmals tief durch. Nur die Ruhe. Halb so wild. Im Grunde, sagte er sich, war das alles vertrautes Territorium. Wenn er eines begriffen hatte in den letzten Jahren, dann, dass sein persönliches Talent nicht darin bestand, sich geniale
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