Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
Russen es tatsächlich, die Insel in Schutt und Asche zu bomben, die unheimliche technische Macht dort zu bezwingen? Unwillkürlich fieberte sie mit, war es ihr kaum anders vorstellbar, so mächtigund markerschütternd, wie allein der Rückstoß dieser Granaten sich anfühlte.
Doch dann, urplötzlich, brach Geschrei an den Steuerpulten los, sprangen Männer auf, wurden Meldungen geschrien, geriet alles in hektische Bewegung. Und über allem ein Kapitän, der ein Mikrofon vor dem Mund hatte und immer wieder schrie: »Rückzug! Rückzug! Alle Schiffe ziehen sich zurück! Sofort!«
»Oh, mein Gott!«, hörte Charlotte Adrian neben sich flüstern. Es hielt sie nicht länger auf dem Stuhl. Sie eilte ans Fenster, konnte kaum glauben, was sie sah, durch all die Gischt und die Explosionswolken in der Ferne. Etwas wie eine riesige silberne Echsenzunge löste sich aus den Befestigungen, entrollte sich innerhalb weniger Augenblicke in Richtung eines der Schiffe, die der Insel am nächsten waren, streckte und reckte und verlängerte sich darauf zu, durch die Luft, über die Wellen hinweg, unerbittlich, bis es das Schiff erreicht hatte und berührte.
In derselben Sekunde begann das russische Schiff sich zu verwandeln. Es hörte auf zu feuern. Die Schiffsaufbauten sanken in sich zusammen, während sich der Rumpf ausbeulte und verbreiterte, seine Farbe wechselte und das Ganze zu etwas mutierte, das keinerlei Ähnlichkeit mehr mit einem Kampfschiff hatte, sondern aussah wie ein Teil einer albtraumhaften zweiten Befestigungsanlage vor der Insel.
Jetzt sah sie auch, dass in diesem Befestigungsring schon ein weiteres Element existierte: das Überbleibsel des ersten Schiffes, das auf diese Weise angegriffen worden war. Dieser Gegenschlag hatte die Aufregung ausgelöst und in der Folge den Befehl zum Rückzug, dem sich nun auch ihr Schiff anschloss. Die Insel entschwand zum Heck hin und kam außer Sicht.
Danach befahl Kapitän Korodin, dass sie von der Brücke und zurück in die Krankenstation gebracht wurden, offenbar der einzige Aufenthaltsraum, der zur Verfügung stand. Sie erhielten etwas zu essen und zu trinken, dann kamen der amerikanische und der russische Soldat wieder, um die restlichen Aussagen aufVideo aufzunehmen. Beide hatten sichtlich Mühe, sich auf diese Aufgabe zu konzentrieren.
»Was geschieht jetzt?«, wollte Adrian wissen. Der russische Soldat, ein blutjunger Kerl mit Muskeln wie Stahltrossen, der die Augen kaum von Charlotte lassen konnte, schüttelte nur den Kopf; es war nicht zu erkennen, ob er nichts wusste oder den Befehl hatte, nichts zu sagen. Der Amerikaner, ein strohblonder, sommersprossiger Texaner, rückte schließlich damit heraus, dass man, soweit er gehört habe, auf Verstärkung warte und vor allem darauf, dass noch zwei Admiräle kämen, ein russischer und ein amerikanischer. Die würden das Kommando vor Ort übernehmen. So, wie er das sagte, klang es, als glaube er, dass dann alles in Ordnung kommen würde.
»Bis Schiffe irgendwo sind, das geht nicht so schnell«, erklärte er. »So ein Flugzeugträger bewegt sich zusammen mit seinem Begleitverband mit maximal dreißig Knoten. Außerdem ist das Polarmeer nicht gerade das optimale Operationsgebiet … also, der erste amerikanische Flugzeugträger, der hier sein könnte, wäre die USS Harry S. Truman , und das nicht vor nächster Woche. Der russische Präsident hat jetzt aber erlaubt, dass wir auf der nächstgelegenen Insel – wie heißt die? Uschakow, glaube ich – jedenfalls, dass wir dort einen vorübergehenden Luftstützpunkt einrichten. Die ersten Globemaster -Maschinen sind schon unterwegs; sie werden auf dem Eis landen, einen Flugplatz einrichten, ein paar Zelte für Mannschaften aufstellen und Tankanlagen für Kampfjets. Die kommen parallel dazu herübergeflogen, per Betankung in der Luft.«
Charlotte schauderte. Das klang alles so nach Hollywood. Unwillkürlich erwartete man, dass Bruce Willis den amerikanischen Admiral spielen würde.
Es gelang ihnen, ein paar Stunden zu schlafen, und als sie wieder aufwachten, erfuhren sie, dass die beiden hohen Tiere gerade eingetroffen waren. Sie möchten bitte alle zurück auf die Brücke kommen, hieß es, und den neuen Befehlshabern die Geschichte noch einmal erzählen.
Als sie oben ankamen, standen die beiden Admiräle mitten auf der Brücke, jeder umgeben von seinem Stab, und ließen sich von Kapitän Korodin und seiner Besatzung den bisherigen Verlauf der Dinge anhand der Videos und anderer
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