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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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sie zu trösten, ihr beizustehen, aber irgendwann ertrug Charlotte niemanden mehr um sich, nicht einmal sie, musste sie fortschicken, um allein zu sein mit sich und dem Dämon.
    Als die endlosen Stunden zum ersten Mal vorbei waren, als Thomas kam und sie abholte, kam es ihr vor, als sei sie ein Engel oder ein Geist, eine Lichterscheinung nur noch, die neben ihm auf dem Beifahrersitz schwebte. Sie hob immer wieder die Hände, wunderte sich jedes Mal, dass sie nicht durchsichtig waren.
    »Ich weiß nicht, ob das das Richtige ist«, sagte sie, als ihr Brenda eine dünne Suppe kochte, das Einzige, was sie sich vorstellen konnte zu sich zu nehmen. »Es fühlt sich so … falsch an.«
    »Es ist eben eine Chance, Charly«, meinte Brenda verzweifelt. »Sieh es einfach als Chance.«
    Das ließ sie sich durch den Kopf gehen. Eine Chance. Wie viele Chancen brauchte sie denn? Wie viele Chancen hatte sie schon gehabt? In dem Moment kam es ihr vor, als habe sie sie jedenfalls alle verpasst. Warum sollte es ausgerechnet diesmal anders sein?
    Am nächsten Morgen fingen auch die restlichen Haare an ihrem Körper an auszufallen. Auf dem Kopf hatte sie ohnehin nur noch ein paar Stoppeln; die waren nach der Dusche nicht mehr da. Ihre Schambehaarung ging in dichten Büscheln aus, und wenn sie sich das Gesicht abtrocknete, blieben jedes Mal Teile ihrer Augenbrauen und Wimpern im Handtuch zurück. Nach drei Tagen war sie so nackt wie ein Baby. Sie stand vor dem Spiegel und hatte das Gefühl, eine Schaufensterpuppe zu betrachten.
    Der Arzt wunderte sich; er habe das erst nach der zweiten Behandlung erwartet. Aber da reagiere jeder Mensch anders. Und die Haare würden alle wieder wachsen, sie solle sich keine Sorgen machen.
    »Ich mache mir keine Sorgen um meine Haare «, sagte Charlotte. Ich mache mir Sorgen um mich selbst. Aber das sagte sie nicht. Ein Blick in das Tausendsorgengesicht des Arztes genügte, um zu wissen, dass er das auch so verstand.
    Außerdem hatte sie ihre Mutter, die sich an ihrer Stelle den Kopf über ihre Haare zerbrach. Immer wieder rief sie an und wollte sie überreden, doch nach Paris zu kommen, sie kenne dort hervorragende Perückenmacher, hervorragende!
    Die Vorstellung, in ihrem Zustand einen Transatlantikflug anzutreten, war abstrus genug; die Idee, es zu tun, um sich eine Perücke zu kaufen, war geradezu abwegig. Aber ihre Mutter ließ nicht locker. Ihre Anrufe waren wie eine Folter.
    Und die Tage rannen dahin, zwischen schwerem Aufstehen, müden Bewegungen, erschöpftem Ausruhen und früher Müdigkeit am Abend. Sie fühlte sich immer noch wie ein ausgewrungenerPutzlappen, als bereits die nächste Behandlung anstand.
    »Kann sein, dass Sie die besser vertragen«, meinte die Ärztin, die sie empfing. »Das geht vielen so. Der Mensch gewöhnt sich.«
    Aber ihr ging es nicht so. Das zweite Mal war derselbe Albtraum, nur noch viel tiefer.
    Eine Woche später klopfte Brenda behutsam an ihre Tür. »Charly?«
    Charlotte schreckte auf. Sie hatte im Sessel gesessen, versucht, etwas zu lesen, und war dabei eingenickt. »Ja, was ist?«
    »Entschuldigung. Ich wollte dich nicht aufwecken. Es hat ausgesehen, als ob du –«
    »Nein, kein Problem. Ich … es ist wohl ein langweiliges Buch.« Sie legte es beiseite.
    Brenda zögerte. »Sag mal – du bist doch so gut in Sprachen. Meinst du, du könntest was übersetzen für eine Bekannte?«
    Charlotte musterte ihre Freundin. Brenda bekam die ersten grauen Haare, das fiel ihr erst jetzt auf. Seltsam, wie man durchs Leben ging, ohne die Dinge wahrzunehmen. War sie gut in Sprachen? Sie kam zurecht, das schon. Aber übersetzen …? »Hab ich noch nie gemacht«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Und wenn du es einfach versuchst?« Brenda zog ein Blatt Papier hervor, einen Brief, auf Spanisch geschrieben. »Es geht um eine Scheidungsgeschichte. Eine Kollegin von Tom, die einen Franzosen geheiratet hat, einen Rennfahrer, stell dir vor! Der macht ihr nun Schwierigkeiten, kein Mensch weiß, warum.« Sie reichte ihr den Brief. »Den bräuchte sie jedenfalls in Französisch.«
    Also versuchte sie es. Da Charlotte das gesprochene Wort brauchte, um zu verstehen, zog sie sich in ihr Zimmer zurück, um sich den Brief laut vorzulesen und auf den Klang der Worte und den Sinn dahinter zu lauschen. Die juristischen Details verlangten Genauigkeit, und Genauigkeit verlangte volle Konzentration. Die Welt um sie herum versank, die Zeit blieb stehen,sie vergaß ihren Körper,

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