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Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Neuffer
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Segen. Schließlich sind wir es, die die größten Verheerungen anrichten. Ich finde, wir sollten alles daransetzen, dass wir schnell aussterben. Vielleicht kann das die Welt noch retten.«
    Holger legte seine Gabel ab und richtete sich auf. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Wenn jemand die Welt retten kann, dann doch wir! Wir forschen auf allen Gebieten! Alle Fortschritte in der Medizin, in der Bekämpfung von Krankheiten, die Entwicklung umweltfreundlicher Energien, Abgasvermeidung, die Effizienzsteigerung in der Nahrungsmittelproduktion ... das sind doch alles unsere Verdienste! Ohne uns wäre die Menschheit längst am Ende!«
    Der Professor schüttelte verschmitzt den Kopf Vielleicht meinte er das alles gar nicht so ernst und wollte nur provozieren? »Nein, so sehe ich das nicht. Sie haben zwar Recht, langsam besinnen sich auch in den Industrieländern einige und versuchen den Niedergang aufzuhalten, aber es ist zu spät. Die Sünden der letzten Jahrzehnte sind nicht mehr gutzumachen. Schauen Sie sich doch nur um – die Länder, die auf die Beine kommen wollen, machen alle unsere Fehler nach, denken Sie bloß an China. Aber wer wollte ihnen das übel nehmen, wir etwa?« Er lächelte unbekümmert in die Runde. »Darf ich noch ein paar von diesen köstlichen Kartoffeln haben?«
    Mama Spenger reichte ihm die Schale. »Also keine Kinder?«, fragte sie enttäuscht.
    »Keine Kinder!«, bekräftigte der Professor und füllte seinen Teller.
    Der Mann wurde mir immer sympathischer. Keine Kinder. Und das beim Abendessen der Familie Spenger. An ihrem eigenen Esstisch! An den alle lieber gestern als heute ein hochbeiniges Kinderstühlchen gerückt hätten. Für das Kindchen, das Enkelchen, das nächste Apothekerchen.
    Mama Spenger schluckte.
    Kerstin säbelte verbissen an ihrem Stück Fleisch herum. Holger haute seine Gabel in ein unschuldiges Rübchen.
    Papa Spenger bemühte sich um Schadensbegrenzung und erkundigte sich nach dem Arbeitsgebiet des Professors.
    Ich gähnte.
    »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel«, sagte der Professor später, nachdem er den letzten Rest der Schokoladensauce von seinem Nachtischteller gekratzt hatte, »aber ich würde jetzt gern auf die Terrasse gehen und eine Zigarette rauchen. Ich weiß, es ist blöd, aber ich bin ein ziemlich starker Raucher.« Er lächelte entschuldigend und fingerte gierig in seiner Brusttasche nach einer Schachtel Camel. Mama Spengers verkniffener und Kerstins angewiderter Blick irritierten ihn nicht im Geringsten.
    »Sie können gern hier rauchen«, sagte Papa Spenger, aber es war klar, dass er es nicht so meinte.
    »Nein, nein, entschuldigen Sie mich bitte einfach für fünf Minuten.« Der Professor erhob sich und griff nach seinem Weinglas, um es mit nach draußen zu nehmen.
    »Warten Sie, ich leiste Ihnen Gesellschaft«, sagte ich und ließ mich nicht von Holgers missbilligendem und Mama Spengers überraschtem Blick irritieren. Was wollten sie denn? Ich war doch nur nett zu ihrem Gast, den sie die ganze Zeit hofiert hatten.
    Draußen war es kalt. Wir hockten uns auf ein kleines Mäuerchen. »Geben Sie mir auch eine, bitte?« Ich zitterte vor Kälte, und mir war nicht ganz klar, was ich hier eigentlich wollte.
    »Was hat Sie in diese Familie verschlagen, Lena?«, fragte der Professor nach den ersten Zügen. »Ich darf Sie doch so nennen, oder? Ich heiße übrigens Gerd.«
    Mannomann, der war direkt! So hatte ich mir einen Chemieprofessor nicht vorgestellt.
    »Ich bin mit Holger verheiratet«, erklärte ich steif.
    »Hm«, machte er. Und zog an seiner Zigarette.
    Wir rauchten schweigend. Unsere Schultern berührten sich, als wir uns nach hinten lehnten und unsere Kippen tief in Mama Spengers Staudenbeet versenkten.
    »Noch eine?«, fragte er.
    Ich sah durch das Fenster. Wohn- und Esszimmer waren leer. Mama Spenger, Holger und Kerstin hatten sich in die Küche zurückgezogen, wo sie wahrscheinlich Espresso kochten und den Abend durchhechelten. Papa Spenger war mit Sicherheit auf die Toilette entschwunden, wie immer nach einer ausgedehnten Mahlzeit.
    »Ja, unbedingt«, antwortete ich.
    Im Schein des Feuerzeugs sah ich sein Lächeln. Fand es kein bisschen einschüchternd mehr. Eher lieb und ein bisschen ironisch. Als auch diese Zigarette zu Ende war, sagte er: »Wenn du mich brauchst – du weißt, wo du mich findest.«
    »Ja. Danke – Gerd.« Sein Du war das Normalste der Welt. Irgendetwas war passiert zwischen uns, ich wusste nicht, was. Aber es war gut, und zum

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