Herr Bofrost, der Apotheker und ich
ich auch noch ein bisschen nachlegen. Ich stellte behutsam das Geschirr ab – Sahne verschmierte Glasschälchen waren nun wirklich ein unwürdiges Requisit für die romantische Liebhaberin – und trat auf Holger zu. Ich klappte die Wimpern bis zum Anschlag nach oben und hauchte kaum hörbar: »Ich bewundere dich! Du bist so männlich!«
Holger schmolz dahin. Sein Lächeln dehnte sich von einem Ohr zum anderen, seine Schultern strafften sich – die Macho-Variante des Schmelzens. Er tätschelte gönnerhaft meine Wange und wandte sich wieder dem Champagner zu. »Bringst du schon mal die Gläser rüber, Kleines? Ich komme gleich.«
Kleines gehorchte. Nun in der Tat sprachlos. Stellte die Gläser auf ein Tablett, arrangierte die Tellerchen mit Nüsschen, Brezelchen und Kernchen, trippelte ins Wohnzimmer. Setzte sich demütig aufs Sofa und blickte wie alle anderen erwartungsvoll dem Champion mit dem Champagner entgegen.
Es war ein schöner Abend! Alle waren zufrieden – Mama Spenger, weil sie so einen tollen Sohn hatte; Papa Spenger, weil er nun ganz sicher wusste, dass sein Erbe dereinst in verantwortungsvollen Händen ruhen würde; Kerstin, weil sie von einem Mann verlassen worden war, der ihrem Bruder sowieso nie das Wasser hatte reichen können; Holger, weil er der Größte war; ich, weil ich mir ziemlich sicher war, dass der Größte einer Kleinen nichts tut.
Und so war es denn auch. Holger war total lieb. Nachdem er – was innerfamiliär nun sozusagen amtlich war – derart über sich selbst hinausgewachsen war, war auch klar, dass es neben ihm einfach keinen anderen Mann geben konnte. Plötzlich waren alle kleinmütigen Verdächtigungen vergessen, Max Mertens und meine Tage in Hamburg kein Thema mehr.
* * *
Die nächsten Tage und Wochen verliefen sehr harmonisch. Ich malte, räumte meinen Kleiderschrank auf, bezahlte pünktlich die Rechnungen und kochte gediegen, wobei sich meine Freundschaft mit Herrn Bofrost auf das Innigste vertiefte. Ab und zu gingen Holger und ich ins Kino oder fuhren nach Hannover ins Theater, trafen regelmäßig die Familie. Und als es im März endlich etwas wärmer wurde, putzten wir unsere Fahrräder und fuhren an der Weser entlang, tranken irgendwo Kaffee, radelten weiter, kehrten zum Abendessen wieder ein und fielen abends müde und erfrischt zugleich ins Bett.
Es war wie früher. Wie ich es mir gewünscht hatte.
Nur – ich spürte keine Freude. Wir stritten uns nie, aber wir lachten auch kaum. Und ich wusste, die Harmonie hing am seidenen Faden. Würde ich auch nur einen Schritt vom heiligen Weg abweichen und Holger meine bedingungslose Zustimmung verweigern, würde dieser ganze wackelige Frieden zusammenkrachen.
Oder?
Ich wagte es nicht, die Probe aufs Exempel zu machen. Wer wusste, wohin das führen würde?
Außerdem – was erwartete ich eigentlich? Wir hatten eine Ehekrise hinter uns! Zumindest ich. Wie Holger das sah, wusste ich nicht so genau. – Aber es war doch klar, dass man da eine gewisse Aufwärmphase brauchte und nicht von heute auf morgen wieder herumturtelte wie balzende Täubchen. Außerdem, Heilige turteln nicht. Heilige langweilen sich.
Ich langweilte mich sogar so sehr, dass ich gleich am dritten Tag, nachdem die Eltern Spenger zu ihrem zweiwöchigen Schwarzwald-Urlaub aufgebrochen waren, in ihr Haus zum Blumengießen fuhr, anstatt das wie sonst bis zum zehnten Tag aufzuschieben, um dann voller Panik die Blumen schier zu ertränken.
Ich wollte gerade wieder in mein Auto steigen, als der Professor in seine Garageneinfahrt einbog. Er bremste und streckte den Kopf aus dem Fenster. »Lena! Wie schön, dich zu sehen! Hast du Zeit? Du musst dir unbedingt das Haus angucken! Es ist fertig!«
Ich starrte ihn an. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, so ohne Bart, braungebrannt, gepflegt. Die grauen Augen hinter der randlosen Brille wach wie eh und je, aber nun auch strahlend.
Das weiße Hemd unter dem Sakko makellos gebügelt (sollten wir etwa dieselbe Wäscherei bemühen?). Der Mann war wirklich für Überraschungen gut. Das hatte er mir voraus: Er wurde jünger, von Mal zu Mal. Was für eine Gemeinheit!
»Ja, klar«, sagte ich, »warum nicht?«
Er schloss die Haustür auf und ließ mir den Vortritt. »Wow!« Ich sah mich verblüfft um. Ich konnte kaum glauben, dass ich in Tante Ottis ehemals dezent geblümtem Flur stand. Die Wände waren glänzend weiß lackiert, kleine Halogenlämpchen an einer Lichtschiene an der Decke tauchten sie in helles Licht. In
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