Herr Bofrost, der Apotheker und ich
nach und dachte an – nichts. Absolut nichts. Mein Kopf war leer gefegt, alle Gedanken im Feuer verbrannt.
Schließlich stand ich schwerfällig auf und schaltete meinen Computer ein. Ich wollte meine E-Mails abrufen.
Liebe, schöne Helena,
auch wenn es unzählige Möglichkeiten im Leben gibt – ich finde nach wie vor eigentlich nur eine von ihnen interessant.
Wenn du es dir anders überlegst ... Ich bin hier.
Steffen
Auch das noch. Obwohl ich wusste, dass ich Steffen nie im Leben wiedersehen wollte – und nach diesem Nachmittag schon gar nicht –, druckte ich die Mail aus, löschte sie, steckte den Ausdruck in meinen »Mephisto«. Dann rief ich den Pizza-Fuzzi an. Ich rauchte noch eine und spielte ein bisschen Solitär am Computer. Ein herrliches Spiel! Es gab kaum etwas Stumpfsinnigeres, das die Gedanken dermaßen fesselte. Wenn man richtig schnell und gut sein wollte, konnte man an nichts anderes denken.
Meine Calzone schmeckte wie Pappe. Der Film rauschte an mir vorbei. Genauso gut hätte ich einen Vortrag über schwarze Löcher oder Perspektiven der Nanophysik hören können. Um zehn ging ich ins Bett, schlief wie eine Tote.
Und am nächsten Tag fuhr ich um halb drei zum Blumengießen.
* * *
»Lena, du bist ein Engel!«, rief Mama Spenger zehn Tage später entzückt. »Ich hätte nie gedacht, dass meine Stephanotis unseren Urlaub überlebt! Du musst sie ja mindestens jeden zweiten Tag gegossen haben!«
Ich senkte den Blick beschämt in den überdimensionalen Schwarzwaldschinken-Korb, den sie uns mitgebracht hatte. In der nächsten Zeit konnte Herr Bofrost etwas kürzer treten, es reichte, wenn er Spargel schälte. Und Petersilie hackte.
Ich trat nicht kürzer. Im Gegenteil, ich malte wie besessen, strichelte Quadratzentimeter um Quadratzentimeter allerfeinstes Katzenfell. Das Denken stellte ich komplett ein. Zwei oder dreimal in der Woche fuhr ich nach Hannover, wo der Professor noch seine kleine Wohnung hatte. Aber das war etwas, das auf einem anderen Stern stattfand. Mit dem wirklichen Leben hatte das nichts zu tun. Mit Holger und mir schon gar nichts. – Was das alles bedeutete, wusste ich nicht, ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich hatte wahrhaft Wichtigeres zu tun, als nachzudenken.
Denn mein erster echter Termin mit dem Mainzelmännchen rückte näher, und da wollte ich etwas vorzuweisen haben.
»Meinst du nicht, dass du es ein wenig übertreibst?«, fragte Holger, als ich, zwei Tage vor dem Termin in Hamburg, abends lieber noch malen wollte, anstatt mich vom Sonntags-Tatort berieseln zu lassen. Das ganze Wochenende über hatten wir uns kaum gesehen. Holger hatte im Garten gepusselt, ich hatte Friese aus tollenden Kätzchen für die Textseiten gezeichnet.
»Holger, ich habe da einen ganz dicken Auftrag! Das Buch soll noch im Herbst erscheinen. Und ich sitze ewig an einem Bild.«
»Das meine ich ja gerade! Du zeichnest bestimmt mal wieder viel zu penibel. So genau guckt sich das hinterher doch niemand an. Es ist doch bloß ein Bilderbuch.«
Warum wollte der Mann eigentlich Kinder, wenn er sie so gering schätzte? – Ich verkniff mir die Frage, sie hätte leicht zu einer anderen Diskussion führen können, die ich nicht schätzte. »Holger, nur weil ich zeichne, wie ich zeichne, bekomme ich solche Aufträge! Das ist mein Stil.«
»Stil!« Seine Stimme triefte vor Verachtung. »Ich glaube, du hast diesen Auftrag nur bekommen, weil da dieser neue Lektor ist. Da läuft doch was!«
Ich verdrehte die Augen. Herr, gib mir Geduld! – Er gab sie mir nicht. Was ich ihm bei genauerer Betrachtung nicht wirklich verdenken konnte. Aug' um Aug', Zahn um Zahn. »Also, Holger, jetzt bist du aber echt abgedreht! Ich habe diesen Mann einmal in meinem Leben gesehen! Was soll denn da laufen?«
»Was weiß ich? So viel wie in den letzten Wochen hast du dich jedenfalls noch nie hinter deinem Zeichentisch verkrochen. Du scheinst ja geradezu davon besessen zu sein, diesem Lektor zu imponieren!«
»Holger, das ist doch völlig grotesk, was du da erzählst. Komm mal auf den Teppich, ja?!«
»Ich bin auf dem Teppich! Immer! Du scheinst im Moment abzuheben! Was glaubst du denn? Dass du noch einen Preis gewinnst?«
»Ja, davon träume ich allerdings. Wäre doch toll, oder? Aber mit Max hat das nicht das Geringste zu tun. Der gehört bloß zum Geschäft.«
»Und das soll ich dir glauben?«
Ich sah ihn fest an. »Ja, das sollst du. Übrigens kannst du gern zu unserem nächsten Treffen mitkommen. Dann wirst
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