Herr Bofrost, der Apotheker und ich
Mann! Was für ein trauriges Schauspiel.
»Ja, sicher, aber warum hast du das angezogen? Das machst du doch sonst auch nicht.«
»Ich wollte dir einen Gefallen tun, ist das so abwegig?«
»Zumindest sehr ungewöhnlich. Da steckt doch etwas anderes dahinter!« Holger goss einen kleinen Schluck von dem Rotwein, den ich bereits geöffnet hatte, in ein Glas und kostete kritisch. Er behielt ihn fachgerecht eine Weile im Mund, schluckte schließlich, wobei sein Adamsapfel hüpfte, und schmatzte, pardon, schmeckte mit der Zunge nach, ein Geräusch, das ich hasste. Er nickte zufrieden, füllte das Glas und lehnte sich an die Anrichte. »Nun erklär mir mal bitte, was du so lange in Hamburg gemacht hast!«
Ich ließ den Kochlöffel in die Suppe sinken und stellte die Platte auf kleinste Stufe. »Aber das habe ich dir doch erzählt«, sagte ich. »Mein Auto war kaputt. Ich bin ein bisschen spazieren gegangen, und abends war ich mit Laura zusammen. Was dachtest du denn?«
»Und was war so wichtig an diesem angeblichen Verlagstermin?«
»O Mensch, das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt! Klaus hört auf. Er ist gesundheitlich etwas angeschlagen – sagt er. Wenn du mich fragst, geht's ihm echt dreckig. Er hat sogar aufgehört zu rauchen.« Ich schenkte mir auch ein Glas Wein ein. »Ich war total geschockt. Jetzt haben wir einen neuen Lektor, so einen jungen. Mal sehen, wie das wird.« Die Nachricht von Klaus' Weggang hatte etwas von ihrem Schrecken verloren, es war so viel passiert seither. Trotzdem, daran zu denken, versetzte mich nicht gerade in heitere Stimmung.
»Aha. Und wie ist er so, dieser neue Lektor?«
Ich stellte mein Glas ab und warf einen prüfenden Blick in den Backofen. »Och, ganz nett, glaube ich. Max heißt er, Max Mertens.«
»Ach, ihr duzt euch schon? Wart ihr auch schon zusammen essen?«
»Essen! Wir waren alle zusammen in der Kantine, ja. Klaus, Gertrud, Max und ich.«
»Max und du. So, so.« Holger blickte mich finster an. »Und bist du sicher, dass du den gestrigen Tag nicht mit Max verbracht hast?«
Ich lachte laut auf. »Holger! Was ist denn mit dir los? Wie kommst du denn auf diese Idee?«
»Nun, ich finde diesen ausgedehnten Aufenthalt in Hamburg etwas merkwürdig. Und du hast gestern erst sehr spät angerufen.«
»Holger, du hast mich gar nicht angerufen!« Ich kippte das halbe Glas Wein in einem Zug hinunter. Hoffentlich hielt ich dieses Heiligenleben durch, ohne zur Alkoholikerin zu werden!
Ich trat auf Holger zu, legte die Arme um seinen Hals. »Schatz, komm, sei nicht albern. Ich liebe dich. Und dieser Max interessiert mich nicht. Er ist mein Lektor, mehr nicht.« Ich schmiegte mein Gesicht an Holgers kratzige Wange. »Du bist erschöpft, Liebling. Geh dich ein bisschen frisch machen, und wenn deine Eltern da sind, erzählst du uns allen nochmal ganz genau, was passiert ist. Okay?«
»Deswegen habe ich sie ja eingeladen. Aber, Helena, glaube nicht, mir entginge, was du treibst, auch wenn ich noch so viel um die Ohren habe!« Damit stapfte er aus der Küche und verschwand im Schlafzimmer, kam zehn Minuten später in seiner unwahrscheinlich lässigen Freizeitkluft wieder hervor – dunkelgraue Cordhose, dunkelgrauer Pullover, weißer Kragen, schwarze Slipper. Ich hätte das glatt als Opernoutfit durchgehen lassen.
Bevor wir uns in weitere Unterhaltungen verstricken konnten, erlöste uns das Spenger-Klingeln. Mama Spengers Auftritt ließ mich an einen Schwarm aufgebrachter Möwen denken, Papa Spenger schritt bedächtig hinterher wie ein stiller Emu, und Kerstin ... Kerstin erinnerte mich an – ich konnte mir nicht helfen – an einen schwarzen Geier. Ihr schmaler Hals ragte aus einem aufgeblähten Wust dunkler, flatternder Stoffbahnen, die dem zerfledderten Federkleid eines kampferprobten Raubvogels ähnelten.
An den Rahmen der Küchentür gelehnt, beobachtete ich die Familie, in der Holger sich ausnahm wie ein zu groß geratener, steifer Rabe. Was machten sie alle hier? Was hatten sie mit mir zu tun? Für einen Moment bekam das ganze Bild so groteske, unwirkliche Konturen, dass ich es verwirrt anstarrte. Wo war mein Platz hier? War ich der kleine, unscheinbare Zaunkönig, zwar im Abseits, doch unzweifelhaft ein Mitglied dieser skurrilen Familie?
Erst Mama Spengers warme, Chanel-getränkte Umarmung verscheuchte die Spukbilder. »Lena, wie hübsch du aussiehst! Wie gut, dass Holger dich hat! Du bist ihm eine große Stütze!«
Ich lächelte matt. Ich bezweifelte, dass Holger
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