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Herr der Diebe

Herr der Diebe

Titel: Herr der Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Funke Cornelia
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noch ein Durchkommen war. Mit ein paar wenig freundlichen Worten drängte Victor sich an ihnen vorbei, reckte den Hals nach den Kindern – und stolperte gegen das Mädchen. Das Mädchen, das am Brunnen so in sein Buch vertieft gewesen war. Das Mädchen, das mit so gelangweilter Miene aus dem Laden gekommen war, ohne Victor auch nur eines Blickes zu würdigen. Ja. Bo hatte sie Wespe genannt.
Sie starrte ihn an, mit feindseligen grauen Augen – und ehe Victor begriff, was sie vorhatte, ließ sie sich plötzlich gegen ihn fallen, trommelte mit ihren Fäusten gegen seinen karierten Pullover und schrie mit schriller Stimme: »Lassen Sie mich los, Sie Schwein! Nein, ich will nicht mit Ihnen mitkommen! Nein!« Victor war so verblüfft, dass er im ersten Moment wie angewurzelt dastand und einfach nur auf sie hinabstarrte. Dann versuchte er sie wegzuschieben, aber sie ließ seine Jacke nicht los und hämmerte weiter gegen seine Brust. Um ihn herum drehten die Leute sich um und starrten ihn an, ihn und das kreischende Mädchen. »Ich hab gar nichts gemacht!«, rief Victor entgeistert. »Nichts, überhaupt nichts!« Und sah entsetzt, wie irgendein Hund bellend auf ihn zusprang. Während die anderen Kinder in der nächsten Seitengasse verschwanden. »Halt!«, brüllte Victor. »Halt, ihr verlogenen kleinen Teufel!« Er versuchte noch einmal, das Mädchen wegzuschubsen, aber da traf etwas mit solcher Wucht von hinten seinen Kopf, dass er taumelte. Und ehe er es sich versah, standen die dicken alten Frauen um ihn herum und droschen ihm wutentbrannt ihre gewaltigen Handtaschen auf den Kopf. Empört brüllte Victor sie an, hielt sich abwehrend die Arme über den Kopf, aber das Mädchen zeterte immer noch lauthals, und die Frauen prügelten, und der Hund verbiss sich knurrend in Victors Jacke. Immer dichter wurde die aufgebrachte Menge um ihn herum. Sie werden mich zerquetschen!, dachte Victor ungläubig und spürte, wie ihm jemand einen Knopf von der Jacke riss. Zerquetschen wie eine Laus auf einer Zimmerpflanze! Aber gerade als er in die Knie ging, kämpfte sich ein Carabiniere zu ihm durch und zerrte ihn hoch. Und während hundert Stimmen durcheinander riefen, um zu erklären, was die ganze Aufregung verursacht hatte, stellte Victor fest, dass das Mädchen verschwunden war. Ebenso spurlos wie ihre vier Freunde.

»Dem haben wir es aber gezeigt!«, sagte Wespe, als sie alle wieder sicher im Versteck waren. Einen tiefen Kratzer hatte sie auf der Backe, und an ihrer dicken Strickjacke fehlten zwei Knöpfe, aber sie lächelte übers ganze Gesicht. »Und seht mal, was ich mir in dem Gewühl gegriffen habe.« Stolz zog sie Victors Portemonnaie unter ihrer Jacke hervor und warf es Prosper zu. »Reg dich bitte nicht auf, vielleicht erfährst du so etwas mehr über den Kerl.«
»Danke«, murmelte Prosper und durchsuchte, ohne lange zu zögern, die Fächer: ein paar Rechnungen von irgendeiner Rosticceria in San Polo, ein Bon von einem Supermarkt, eine Eintrittskarte in den Dogenpalast. Er warf alles achtlos auf den Boden. Bis er Victors Detektivausweis in den Händen hielt. Mit versteinertem Gesicht starrte er ihn an.
Wespe blickte ihm über die Schulter. »Er ist also wirklich einer«, sagte sie. »Ein echter, wirklicher Detektiv.«
Prosper nickte. Er sah so verzweifelt aus, dass Wespe nicht wusste, wo sie hinschauen sollte. »Ach komm, vergiss den Kerl jetzt einfach!«, sagte sie leise, streckte zögernd die Hand aus und streichelte Prospers Gesicht. Aber er schien es gar nicht zu bemerken. Erst als Scipio zu ihnen trat, hob er den Kopf. »Was guckst du so düster?«, sagte der Herr der Diebe und legte ihm den Arm um die Schulter. »Wir sind ihm doch entwischt. Lass uns jetzt endlich sehen, was in dem Umschlag des Conte steckt, ja?«
Prosper nickte. Und schob Victors Portemonnaie in seine Hosentasche.
Scipio öffnete den Umschlag natürlich persönlich. Feierlich schlitzte er ihn mit seinem Taschenmesser auf, während die anderen vor ihm auf den Klappsesseln hockten und ihn stumm vor Spannung beobachteten. »Wo ist eigentlich die Taube, Mosca?«, fragte Scipio und zog ein Foto und ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus dem Umschlag. »Die sitzt noch in ihrem Korb, aber ich habe ihr ein bisschen Brot reingebröselt«, antwortete Mosca. »Und jetzt mach es nicht so spannend, verdammt noch mal. Lies vor, was auf dem Blatt steht.«
Scipio lächelte, warf den leeren Umschlag auf den Fußboden und faltete das Blatt auseinander. »Das Haus,

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