Herr der Finsternis
viel schmaler, und als wir gen Osten paddelten, hielt uns ein Strudel in der Strömung auf, und dann erhob sich unter uns ein Flußpferd, das so groß wie ein Elephanto war, und stieß unser Boot um und verstreute uns im Wasser.«
»Sei still«, sagte der Zigeuner Duarte Lagosta, »oder wir werden dich an die Coccodrillos verfüttern. Wir brauchen hier keine so düsteren Geschichten, die uns nur entmutigen.«
»Ich wollte euch nur erzählen, wie wir entkamen, als…«
»Erzähle es uns, nachdem wir gekentert sind«, sagte Duarte Lagosta, und der Portugiese schwieg.
Ich dachte ein wenig über die Gefahr nach, des Nachts einem Flußpferd zu begegnen, und noch viel mehr, auf eine der schlammigen Inseln zu laufen, die den Fluß durchziehen. Denn dies konnte leicht geschehen, und wenn wir strandeten, waren wir Fleisch für die Coccodrillos, bevor wir das Boot wieder flottmachen konnten. Vor vielen Jahren hatte ich diesen Fluß befahren, doch niemals in der Dunkelheit und seit sechs Jahren nicht mehr; und doch grub ich in meinem Gedächtnis und versuchte, mich anhand der Biegungen und Windungen an die Stellen zu erinnern, wo die Inseln lagen. Vielleicht übersah ich ein paar, doch wir strandeten jedenfalls nicht. Als die Dämmerung über den Baumgipfeln in den Himmel kroch, fanden wir uns in einem besseren Teil des Flusses wieder, von dem ich wußte, daß er zum Gebiet eines gewissen Fürsten namens Mani Kabech gehörte, der einen Teil der Provinz Lamba beherrschte, die wiederum Portugal untertan ist.
Der Morgen zeigte uns eine schwere, schwüle Welt voller gewaltiger Bäume – Palmen, Zypressen, Eisenbäume und besonders die großen, bauchigen Ollicondis, die in sich selbst wie Häuser sind, innen ganz schwammig, mit Stämmen, die das Regenwasser halten und von denen Vögel trinken. All dies war von den Girlanden und Gehängen der riesigen grünen Schlingpflanzen über unseren Köpfen, die so dick waren wie die größten Schlangen, wie eine Tapisserie miteinander verwoben. Obwohl der Tag angebrochen war, war der Dschungel dunkel – oh, wie war er dunkel, dunkel, dunkel! –, und das war auch gut so, denn während der Zwangsarbeit in Masanganu hatten wir mehr als nur den nötigen Anteil Sonne bekommen, und diese Dunkelheit war eine angenehme Kühle für uns.
Hier gingen wir mit unseren zwölf Musketen, dem Schießpulver und der Munition an Land. Wir versenkten unser Kanu, damit die Portugiesen nicht herausfanden, wo wir an Land gegangen waren. Wir machten im Urwald ein kleines Feuer und rösteten unseren Guineaweizen, um unseren Hunger zu stillen. Später sammelten wir in der Gabelung eines großen Baumes, wo Bienen herumflogen, etwas Honig. Und ein Zigeuner zeigte uns, von welchen Palmenbäumen man essen konnte, indem er die schlanken jungen fällte und die fahlen, zarten, saftigen Sprößlinge aß, die aus ihren Herzen wuchsen.
Den ganzen Morgen rasteten wir hier, aßen und sprachen von unseren Plänen. Da wir in der Nacht unserer Flucht keinen Schlaf bekommen hatten, nahmen wir ihn jetzt, indem einige von uns die Augen schlossen und andere Wache standen. Unsere Wachsamkeit war eher gegen die tödlichen Tiere des Dschungels gerichtet als gegen die Portugiesen, denn wir glaubten nicht, daß sie uns bis hierher verfolgen würden.
Sobald es dunkel war, nahmen wir unsere Reise wieder auf und marschierten die ganze Nacht über unter größten Mühen durch dichtes Unterholz, wobei wir hofften, eine nord-nord-westliche Richtung eingeschlagen zu haben. Da man mich für einen erfahrenen Navigator hielt, wandte sich dabei ein jeder an mich um Rat, und bei jeder Öffnung der Kletterpflanzen betrachtete ich die Sternbilder und gab, so hatte es den Anschein, anhand ihrer Anordnungen weise Ratschläge. Doch ich achtete auch geflissentlich auf den Verlauf des Flusses, was weit nützlicher war, denn er floß ein kurzes Stück unterhalb zu unserer linken Hand und war uns ein ständiger Führer.
Doch dann entfernte sich der Fluß von uns, was sich nicht ändern ließ, denn unser Ziel war das Königreich Kongo im Norden, und wenn wir dem Kwanza gefolgt wären, hätte er uns einige Meilen südlich von São Paulo de Luanda zum Meer gebracht. So gab ich nun mein Bestes, unseren Weg allein aufgrund von Vermutungen zu bestimmen, gab mir dabei jedoch immer den Anschein, ich sei mir völlig sicher. Es ist mitunter viel einfacher, trotz des Mangels an Landmarken seinen Weg auf dem offenen Meer zu finden als in einem Dschungel, wo jeder
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