Herr der Finsternis
seltsam in meinen Ohren. Und dies war also auch das vierzigste Jahr der ruhmreichen Herrschaft Ihrer Protestantischen Majestät, falls sie tatsächlich noch den Thron halten sollte. Doch war sie noch auf dem Thron? Gott schütze mich, doch was die Nachrichten aus England betraf, die ich bekam, so hätte ich auf einem anderen Stern sein können.
Lebte die Königin noch? Und wer hielt nun den Thron, wenn sie verschieden sein sollte? War es James von Schottland oder irgendein französischer Prinz oder der König von Spanien oder ein ganz anderer? Nay, ich konnte mir niemanden sonst auf unserem Thron vorstellen als sie, diese jungfräuliche und wunderbare Dame; und ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß ich jetzt vierzig war, was bedeutete, daß meine verlorene Anne Katherine, der ich die Jungfräulichkeit genommen hatte, als sie fünfzehn war, nun siebenundzwanzig sein mußte, schon lange jenseits der Blüte ihrer Jugend, fast eine Matrone. Wartete sie noch immer auf meine Rückkehr? Nur ein Narr würde dies annehmen. Vielleicht trauerte sie um mich, doch gewiß hatte sie ihre Liebe längst einem anderen geschenkt, hatte nun zwei oder drei Kinder und wurde langsam füllig, und vielleicht sproß aus ihrer Lippe jetzt eine feine Linie goldenen Haars? Der November des Jahres 1598! Vierzig Jahre alt, aye, und ein Sklave in Masanganu!
So verstrich die Zeit, und ich wurde immer härter und geduldiger, und dann erwachte ich aus meiner langen Resignation und dachte zum ersten Mal an eine Flucht von diesem Ort, bevor meine Lebensspanne völlig erschöpft sein mochte.
Es gab in Masanganu einen gewissen Zigeuner, dem ich im Laufe der Jahre zu vertrauen gelernt hatte, und umgekehrt galt dies auch, denn wir hatten lange Seite an Seite geschuftet und gemeinsam viel erlitten und viel geteilt. Er nannte sich Cristovão, obgleich er in der Sprache der Cigano auch einen Namen hatte, den er anderen jedoch nicht verriet. Dieser Cristovão war ein kleiner Mann von sehr dunkler Hautfarbe, mit einer Hakennase, überaus durchdringenden Augen und außergewöhnlicher Körperkraft, da er Gewichte heben konnte, die so schwer wie ich waren, obwohl er beinahe nur halb so groß war wie ich.
Als er und ich und ein paar andere Zigeuner an einem Tag von wahrhaft erstaunlicher Hitze einen Bruch in der Mauer des Forts reparieren mußten und litten wie die Juden unter dem Pharao, kam ein Aufseher namens Barbosa – doch gewißlich kein Verwandter meines gefallenen Freundes – zu uns, während wir einen Augenblick lang innehielten, um uns zu erfrischen. Cristovão hatte eine lederne Flasche mit Palmwein, und er trank daraus, indem er sie hoch über seinen Kopf hielt und einen Bach des süßen Getränks in seinen geöffneten Mund fließen ließ; und er nahm einen tiefen Schluck daraus und gab die Flasche mir, indem er sagte: »Hier, Andres, es ist an der Zeit, daß du lernst, wie es gemacht wird.«
Woraufhin ich es ihm gleichtat, aber schlecht, und der Wein auf meine Wangen und den Hals floß, und er lachte und die anderen Ciganos auch, und dann nahm er die Flasche, um mir zu zeigen, wie es gemacht wird. Und während er sie sich über den Kopf hielt, erschien dieser Aufseher Barbosa, schlug Cristovão die Flasche aus der Hand und rief: »Was trinkt ihr hier und arbeitet nicht?«
Ich sah die Wut in Cristovãos Augen. Demütig bückte er sich und hob seine Flasche auf, aus der der Wein zum größten Teil verschüttet war, und dann reinigte er sich das Gesicht, wo der Wein es beschmutzt hatte, und er atmete mehrmals in der heißen Luft tief ein, um sein Temperament im Zaum zu halten, damit er den Aufseher nicht erschlug, wie Moses es im Lande Ägypten getan hatte. Und er murmelte leise Flüche in der Cigano-Zunge, denn in ihm siedeten Haß und Zorn.
»Kannst du dies noch länger ertragen?« fragte ich daraufhin, nahm ihn am Arm und führte ihn zur Seite. »Denn ich kann es nicht. Ich beabsichtige, von diesem Ort zu fliehen, Cristovão.«
»Auf deinen Eid?«
»Fürwahr. Diese selbige Nacht noch werde ich gehen, denn ich halte es besser für mich, mein Leben für meine Freiheit aufs Spiel zu setzen, als noch länger in dieser elendigen Stadt zu darben«, sagte ich, wobei sich die Worte aus irgendeiner mächtigen Quelle in meiner Seele hoben, in der sie zu lange eingepfercht gewesen waren.
Er drückte sein Gesicht eng an das meine und grinste breit, so daß ich ein Vermögen an Gold sah, das in seinen schlechten Zähnen steckte, und er sagte: »Ich
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