Herr der Finsternis
seinen Palast rufen und mit mir über seine Träume und Hoffnungen für diese Kolonie sprechen würde. Ich war nun so tief gefallen, daß diese mächtigen Männer von Angola mich gar nicht mehr wahrnahmen.
Von allen Wandlungen, die ich feststellte, war jedoch die traurigste die, die jene durchgemacht hatte, die mir einst am nächsten gestanden hatte, nämlich meine ehemalige Sklavin Matamba. Ich fand sie nur durch Zufall wieder, und sie hatte sich so verändert, daß ich beinahe an ihr vorbeigegangen wäre, ohne sie zu erkennen.
Es gab in São Paulo de Luanda nun eine Art Hurenviertel, hinter dem Hauptmarkt, wohin die Soldaten gingen, die nicht regelmäßig einer Schwarzen oder einer Mulattin beiwohnten, um sich ein Eingeborenenmädchen zu suchen, das sich für eine Handvoll Muschelgeld zu ihnen legte. Irgendwann in den frühen Tagen meiner Rückkehr kam ich an diesem Ort vorbei und sah mich mit müßiger Neugier um, doch ich tat nicht mehr als das, denn ich habe es noch nie sehr geschätzt, mir auf diese Art die Körper fremder Frauen zu mieten, außer wenn meine Bedürfnisse übermächtig waren. Und doch wird das Jucken von Zeit zu Zeit so stark, daß ich es kratzen muß.
Ein Botengang führte mich eines Tages zufällig zum Hafen, und dort sah ich ein paar Angolamädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren, die nackt in der warmen Brandung badeten, und der Anblick ihrer festen, hervorstehenden Brüste und runden, üppigen Hinterbacken, die im Meereswasser und Sonnenschein geradezu leuchteten, erweckte in mir wieder das Verlangen des Fleisches. So ging ich danach in das Viertel, wo die Huren sich herumtrieben, um mich nach einem einigermaßen sauberen und pockenfreien schwarzen Mädchen umzusehen, an dem ich dieses Bedürfnis befriedigen konnte.
Es gab dort mehrere junge und hübsche, unter denen ich die Wahl treffen konnte, als eine alte Bettlerin – wie ich dachte – an meinem Ärmel zog und leise und mit gesenktem Blick sagte: »Por favor…«
Ich hätte ihr eine Muschel gegeben und mich meinem Anliegen gewidmet, ohne sie eines Blickes zu würdigen, doch ein vertrauter Klang ihrer Stimme traf eine tiefe Ebene meiner Seele, und ohne den Grund zu kennen, drehte ich mich zu ihr um. Ich sah eine Frau in einem zerrissenen und fadenscheinigen Kleid von einer verblichenen Farbe, mit gebeugten Schultern und einer gebrochenen, besiegten Ausstrahlung; und doch bargen ihre Augen noch einen Schimmer, den Funken einer besseren Existenz, und zu meinem großen Entsetzen begriff ich nach einem Augenblick, daß dies keine alte Bettlerin war, sondern eine Frau, die ich gut kannte: Denn es war fürwahr meine Matamba, die mehr gealtert war, als ich es diesen sechs Jahren zuschreiben konnte.
Denn dies hätte genauso gut Matambas Mutter sein können wie sie selbst.
»Bist du das?« fragte ich.
»Ich bin… ich habe die Worte vergessen…«
»Du weißt, wer ich bin, Matamba?«
»Der Engländer… Andres…«
»Ja! Aber ich kann diese Verwandlung kaum glauben, Matamba. Bist du es wirklich?«
Sie schien zu zittern und schloß einen Augenblick lang die Augen, als griffe sie auf noch tiefer zurückliegende Erinnerungen zurück, die sie schließlich auch hervorholte, indem sie mit schwacher, zitternder Stimme sagte: »Esses… Sussex… Somerset… York…«
Ich stand den Tränen nahe.
Augenblicklich schleppte ich sie aus diesem Huren-Markt und in meine Kaserne, wo ich eine Mahlzeit für sie bestellte, etwas Palmwein, etwas gekochtes Getreide und Fleisch. Sie aß hastig und mit verzweifelter Gier, mit beiden Händen, als hätte sie seit langem nichts mehr zu essen gehabt und fürchtete nun, man könne es ihr wegnehmen, bevor sie fertig war. Ich beobachtete sie mit Mitleid und Entsetzen.
Sie zählte damals nicht mehr als zweiundzwanzig Jahre und sah aus wie vierzig, aber wie eine verbrauchte Vierzigjährige. Ihre Brüste, die einst wie zwei feste Kugeln vorgestanden hatten, hingen nun schlaff hinab und waren eingefallen. Ihr Gesicht war hager, die Nase zeigte Spuren einer Verletzung, die dunkelbraune Haut hatte nun eine aschgraue Farbe angenommen, und das wollige Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Sie, an die ich mich als stämmige, kräftige, wohlgebaute Frau erinnerte, war nun dünn, und ihre Muskeln waren erschlafft. Ihre Hände zitterten, nicht heftig, doch unablässig.
Als sie mit ihrer Mahlzeit fertig war, nahm ich ihr Kinn und hob ihren Kopf. »Wir sind beide nun längst nicht mehr so hübsch, nicht wahr,
Weitere Kostenlose Bücher