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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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glauben, daß Menschen Geschmack am Fleisch anderer Menschen finden würden. Was für ein Narr war ich doch, ist diese Welt doch voller Kannibalen, die glücklich verschlingen, was sie nur können, wie ich mittlerweile besser weiß als irgendein anderer Engländer, der jemals gelebt hat. Doch in einem hatte ich recht: daß diese Taymayas zuerst die Portugiesen essen würden.
    Ihr teuflisches Fest begann an diesem Abend. Die Indianer kamen zu uns und suchten den wohlgenährtesten der Portugiesen aus, der »Jesus Maria!« und andere solche Dinge schrie und die Heiligen rief. Er hätte genausogut die Bäume anrufen können oder die Allagardos im Fluß. Sie zerrten ihn an seinem Seil vor, und ein kräftiger junger Mann trat hinter ihn und versetzte ihm zwei schreckliche Schläge mit einer Keule, die seinen Schädel spalteten und ihn töteten. Dann nahmen sie die Zähne irgendeines Tieres, trennten seine Haut auf, hielten ihn am Kopf und den Füßen über ihr Feuer und zerrten mit den Händen an ihm, bis sich die Haut ablöste.
    Als ich dies beobachtete, dachte ich, ich sei in einem Traum, und dachte auch, daß in diesem selbigen Augenblick meine Anne Katherine gemächlich ein Buch las und die große Königin Elisabeth vielleicht mit ihren Höflingen zusammensaß und Schauspieler auf der Bühne des Globe standen und die Zeilen eines Schauspiels rezitierten, dachte also, daß es irgendwo eine zivilisierte Welt gäbe, die nichts von diesen Dingen wisse, und daß Andrew Battell aus Leigh in Essex hier in einem wilden Dschungel sitzt und beobachtet, wie ein wohlbeleibter junger Portugiese zum Essen tranchiert wird. Dies war fürwahr kein Traum, und niemals fühlte ich mich von der Welt, in die ich hineingeboren war, weiter entfernt als bei diesem ersten Zwischenspiel des unglaublichen Schreckens, von dem ich bei Gott wünschte, es wäre mein letztes gewesen.
    Sie schlugen ihm den Kopf ab und gaben ihn ihrem Häuptling und dann die Gedärme den Frauen, wonach sie ihn Stück um Stück zerlegten, zuerst die Hände, dann die Ellbogen und so den gesamten Körper. Danach gaben sie jeder Hütte ein Stück; dann stimmten sie einen Tanz an, und die Frauen brachten große Mengen Wein herbei. Und später kochten sie jedes Stück in einem großen Wasserkessel und machten eine Brühe daraus. Ich beobachtete all diese Dinge mit solchem Entsetzen und Abscheu, daß ich glaubte, ich würde daran sterben. Über drei Tage hinweg taten die Indianer nichts anderes als tanzen und trinken, Tag und Nacht. Danach töteten sie einen weiteren Portugiesen genau wie den ersten. Doch sie kamen nicht dazu, sein Fleisch zu genießen, denn ein Rettungstrupp der Portugiesen fiel genau in diesem Augenblick mit aufblitzenden Musketen über das Dorf her und befreite uns.
    Frei, aye, doch für mich war es nur die Freiheit, dem Kochtopf zu entgehen, denn sie brachten mich schnell in die Mühle zurück und ließen mich wie ein müdes Maultier schuften. »Ich bedaure beinahe, gerettet worden zu sein«, sagte Tomer neben mir, »denn das war ein schneller Tod, und dieses Leben ist eine Hölle, die uns noch fünfzig Jahre lang umschlingen kann.« Und dann lächelte er und sagte: »Nay, Andrew, erspare mir dein Gerede, das Leben dem Tod auf jeden Fall vorzuziehen. Ich kenne dich mittlerweile zu gut, deinen Starrsinn, deine Hoffnung, dein Vertrauen darin, daß alles glücklich enden wird.«
    »Wärest du also wirklich lieber gestorben?« fragte ich.
    »Nay, ich glaube nicht«, entgegnete er, und wir kehrten zu unserer Fronarbeit zurück.
    Doch obwohl ich mich niemals der Verzweiflung hingab, fühlte ich dennoch, wie sie an meiner Seele nagte, denn die Wochen verstrichen, und ich sehnte mich nach England und Anne Katherine und dem kalten grauen Himmel und den klaren süßen Flüssen, in denen es nicht von tödlichen Coccodrillos und all diesem Getier wimmelte. Ach, in England muß es nun Frühling sein, dachte ich, April oder Mai des Jahres 1590, bei dem das ganze Land ergrünt und überall Blumen sprießen, und ich bin hier in einem Land, das keinen Winter kennt, ein Sklave, und welches Schicksal erwartet mich? Ein Jahr meines Lebens war fern von England verstrichen: wie ich das beklagte!
    Ein Jahr meines Lebens! Und doch war dies nur der Anfang meiner Gefangenschaft.
    In unserem vierten Monat am Rio de Janeiro kam ein Jesuitenmönch zu Tomer und mir, einer, der etwas Englisch sprach, und sagte: »Werdet ihr unseren Glauben annehmen und zu unserer Mette kommen?«
    Ich

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