Herr der Finsternis
und ob wir Spione oder nur Piraten seien, woraufhin ich erwiderte, wir seien Siedler, die auf ihrem Weg zu der Kolonie in Virginia durch einen Sturm vom Kurs abgekommen wären und in Brasilien Schiffbruch erlitten hätten. »Das werdet ihr auch sein«, sagte er, »für eine lange Weile Schiffbrüchige in Brasilien.«
Ich glaube, er wollte nichts mit uns zu tun haben, denn sehr bald traf eine Schaluppe in Santos ein und überführte uns zu einer größeren Stadt, die die Portugiesen im Norden erbaut hatten, an der Mündung des Flusses namens Rio de Janeiro. Auf dieser Reise passierten wir die Ilha Grande, wo Cocke die Dolphin zurückgelassen hatte, und sahen keine Spur von ihr. Am Rio de Janeiro verblieben wir vier Monate. Hier gab es zwei Dinge von Bedeutung, ein Jesuitenkloster und eine große Zuckermühle auf einer Insel namens Insel des Gouverneurs.
Jennings und der andere Mann wurden als Dienstboten ins Kloster Jesu geschickt, wohl, wie ich annehme, um die Fußböden zu schrubben, damit die Mönche sich nicht die Kutten schmutzig machten, wenn sie niederknieten, und Tomer und ich wurden der Zuckermühle überstellt. Ich weiß nicht, wer von uns Schlimmeres erlitt, die, die für die papistischen Gelehrten Handlangerdienste verrichten mußten, oder die, die sich das Rückgrat brachen, um diese Mühle zu drehen: ich wage zu behaupten, daß Tomer und ich größere Schmerzen des Körpers erlitten und die beiden anderen größere Schmerzen der Seele. Doch wir hatten keine Gelegenheit, unsere Erfahrungen auszutauschen, denn nachdem wir voneinander getrennt waren, habe ich die beiden anderen nie wiedergesehen, und nach allem, was ich weiß, sind sie immer noch dort, mittlerweile vielleicht selbst Jesuiten, alt und krumm und fließend in Latein und geübt, die Messe zu singen. Gott sei ihnen gnädig.
Für mich war es eine Unterweisung anderer Art. Sie ließen mich Tag und Nacht auf eine Barke hinauf und wieder hinab gehen, um Zuckerrohr und Holz für die Mühle zu tragen. Ich bekam weder Fleisch noch Kleidung, aber so viele Schläge wie ein Galeerensklave und Tomer ebenso. Wir sprachen täglich von Flucht, doch es gab kaum eine Gelegenheit dazu, da die Mühle auf einer Insel lag und die umgebenden Gewässer voller menschenfressender Fische sein sollten. Kurz über lang waren wir verzweifelt genug, um das Risiko einzugehen, herauszufinden, ob dies der Wahrheit entsprach, doch der Fall schien hoffnungslos, da es keinen sicheren Ort gab, zu dem wir fliehen konnten.
Die Portugiesen hatten gewisse Indianerstämme versklavt, die taten, was sie von ihnen verlangten, doch schon eine kurze Strecke hinter der Stadt waren die Indianer wild, und sie waren auch Menschenfresser. Menschenfresser im Meer und Menschenfresser zu Lande: die Vernunft gebot, daß wir eine Weile blieben, wo wir waren; schließlich wurden wir nur geschlagen, was ein weniger barbarisches Schicksal ist, als gefressen zu werden.
Ich weiß nicht, ob die warmen und ruhigen Gewässer dieser Flußmündung wirklich menschenfressende Fische beheimateten, doch was die kannibalischen Indianer betrifft, so habe ich keinen Zweifel. Im zweiten Monat meiner Gefangenschaft wurden ich und Tomer und ein Dutzend portugiesischer Soldaten abgestellt, aus dem Inland Holz einer gewissen seltenen Art zu sammeln, und wir wurden von einem Stamm namens Taymayas oder Tamoyas überfallen, der der verhaßteste Feind ist, den die Portugiesen in dieser Gegend haben. Sie fesselten und schafften uns tiefer in den Wald, und ein Portugiese namens Antonio Fernandes sagte zu mir: »Schließe Frieden mit deinem Gott, denn dieses Volk wird uns auf seinem Fest essen.«
Wir wurden zu ihrem Dorf gebracht, das in der Nähe eines Flusses lag, der voller Allagardos, riesiger Schlangen und anderen seltsamen Getiers war. Ich erinnere mich an eins, das so groß war wie ein Bär und auch einen Körper wie ein Bär hatte, aber eine Nase, die eine Elle lang, und einen schönen großen Schwanz, der ganz schwarz und grau war. Dieses Tier steckt seine Zunge durch Ameisenhügel, und wenn die Ameisen alle auf seiner Zunge kleben, verschluckt es sie. »Und du kannst Freude an solchen Ungeheuern finden«, sagte Tomer, »wo du doch bald sterben wirst?«
»Ich lebe mein ganzes Leben, als würde ich bald sterben«, entgegnete ich ihm, »und finde solche Freude, solange ich es noch kann. Und du und ich, wir sind von unserer Arbeit zu sehnig und zäh, um eine gute Mahlzeit abzugeben.«
In Wahrheit konnte ich nicht
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