Herr der Finsternis
Schlangenhäute oder Muschelschalen. Doch darüber werde ich zu gegebener Zeit berichten.
Während meiner Wochen in der Stadt des Mofarigosat beobachtete ich noch vieles andere. Zum einen wurde ich Zeuge, wie die hochstehenden Narben entstanden, die die Eingeborenen als Zeichen der Schönheit erachten: indem man die Haut einschneidet und Zinder darunterschiebt, um sie zu versengen, oder indem man gewisse Pflanzen in die Schnitte drückt. Ich erfuhr, daß gewisse Narben auf den Frauen eine besondere Bedeutung haben; so sollen die an den Schenkeln zum Beispiel sagen: »Drücke mich hier«, und eine kreisrunde Narbe auf den Hinterbacken hat die Bedeutung: »Hier soll mich ein Mann anfassen.« Doch von diesen Geheimnissen erfuhr ich nur ein wenig.
Und ich sah auch die Scham, die die Frauen überkommt, wenn sich ihre Monatsblutungen einstellen, denn dann hält man sie für unheilig und gefährlich. Die Männer haben eine tiefe Furcht vor diesem Blut und wollen unter keinen Umständen mit ihm in Berührung kommen; noch wird dem Vieh des Stammes gestattet, sich einer Frau zu nähern, die ihre Menstruationszeit hat. Es gibt eigens ein Haus, das die Frauen während der beiden ersten Tage aufsuchen, und in dessen Nähe ist kein Brunnen, keine Anpflanzung, keine Weide. Und doch ist ihr Blut eine mächtige Magie, die sie bei verschiedenen Riten benutzen, von denen ich nichts weiß.
Da ich nichts zu tun hatte, außer solche Dinge zu beobachten, ging ich herum und bekam viel davon mit. Und ich wunderte mich sehr, daß eine jede Nation Afrikas ihre eigenen besonderen Gebräuche hat, ihre Myriaden von Hexenkünsten und Bannsprüchen und Mokissos und Philosophien, die sich von Stamm zu Stamm unterscheiden, so viele, daß tausend Chronisten tausend Leben haben müßten, um alle zu verzeichnen, und sie alle sind, glaube ich, von hohem Interesse.
Doch was wird geschehen, wenn die Portugiesen obsiegen und dieses gesamte Land in christliches Gebiet verwandeln? Und erzwingen, daß ein jeder hier portugiesische Kleider trägt, die portugiesische Zunge spricht, zur Messe geht und allen einheimischen Bräuchen abschwört? Ihr wollt vielleicht erwidern, daß dies nur zum besten geschähe, um die üblen heidnischen Wege abzuschaffen, und bis zu einem gewissen Grad stimme ich dem zu, da ich keine Tugend darin sehe, ein Gottesurteil durch Gift herbeizuführen oder den Frauen die Geschlechtsteile zu beschneiden. Doch haben wir nicht einen Großteil der Vielfältigkeit der Welt verloren, wenn diese Dinge gänzlich vom Antlitz der Erde verschwunden und alle Menschen überall gleich sind, ob wir nun in London oder Moskau oder der Türkei oder Angola sind?
Über all dies dachte ich nach, während ich darauf wartete, daß Pinto Dourado und seine Männer zurückkehrten und mich davon erlösten, an Mofarigosat verpfändet zu sein. Und die Tage verstrichen, und ich zählte sie, indem ich im Holz eines weichen Baumes vor meiner Hütte kleine Markierungen anbrachte, und sie summierten sich zu zwanzig und vierzig und fünfzig und dann zu sechzig, womit die vereinbarte Zeitspanne verstrichen war. Ich war nicht so unschuldig, um zu erwarten, daß die Portugiesen wegen mir zurückkehren würden, doch ich war auch noch nicht so sehr von der Menschheit enttäuscht, daß ich von vornherein die Möglichkeit einer Rückkehr in Abrede stellen würde.
Und so hoffte und kerbte und hoffte und kerbte ich. Auch Mofarigosat führte ein Kerbholz; und als wir zum Ende des zweiten Monats kamen, erfolgte eine deutliche Veränderung darin, wie sie mich behandelten, denn ich bekam keine Frauen und keinen Palmwein mehr und auch nur noch viel bescheidenere Nahrung. Und die Zeit lief aus.
Ich muß Mofarigosat zugestehen, daß er mir eine Gnadenfrist von vier weiteren Tagen einräumte. Doch am vierundsechzigsten Tag hatte ich alle Gnade bekommen, die ich erwarten konnte, und einige der wichtigsten Männer seines Hofstaates kamen zu meiner Hütte, und einer sagte: »Dein Volk hat sein Versprechen nicht gehalten, und nun werden wir dir den Kopf abschlagen.«
Ich war mir sicher, daß ich ihn falsch verstanden hatte. Doch ich hatte ihn richtig verstanden, denn sie führten mich geradewegs zu einem großen Platz in ihrem Dorf, wo sie ihre Diebe und Ehebrecher bestraften. Hier befand sich ein Henkersblock, und direkt daneben war der fürchterlichste Ort, den man sich vorstellen konnte: Denn dort hatten sie viele abgeschlagene Hände und Arme und Beine aufgestapelt und auch eine
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