Herr der Finsternis
beträchtliche Anzahl abgeschlagener Köpfe, und darunter waren alte Knochen zu sehen, und große Fliegen mit leuchtenden grünen Körpern summten dort in wahren Heerscharen herum. Dieser fürchterliche Haufen kündete von häufigen und schrecklichen Bestrafungen, die Mofarigosats Beamte seinem Volk auferlegten, und ich verstand nun, warum das Volk ihm solch einen Gehorsam entgegenbrachte.
Ich schaute zu dieser Anhäufung menschlicher Körperteile hinüber, und vor meinem geistigen Auge sah ich, wie der Kopf von Andy Battell mit seinem goldenen Haar hoch auf diesem abgetrennten und verfaulten schwarzen Fleisch lag und die Sonnenstrahlen genau horizontal einfielen und meinem Haar und Bart einen wundersamen Glanz verliehen. Es war eine Vision, die mir nicht sehr behagte.
Und doch schien es gewiß, daß mein Leben noch in dieser Stunde und an diesem Ort ein Ende finden würde. Denn obwohl es noch sehr früh am Morgen war und die Nebel und Dämpfe der Nacht noch auf dem Erdreich lagen, war eine große Menschenmenge zusammengekommen und hatte sich am Rand dieses Platzes versammelt. Der hohe Adel der Stadt hatte die besten Plätze ganz nah am Henkersblock. Ich sagte mir, daß es am Tower in London ganz ähnlich aussehen würde, wenn man irgendeine hochgestellte Persönlichkeit des Reiches köpfen wollte: Der Delinquent stand allein neben dem Henkersblock, und der Lordoberrichter war anwesend und der Bischof dieses oder jenen Ortes, alle ganz nahe, damit sie den Klang der Axt hören und das Blut spritzen sehen konnten.
Und dann trat ein gewaltiger Schwarzmohr zu mir, der einen Elephanto als Großvater gehabt haben mußte, denn er war eine Unermeßlichkeit aus Fleisch und Knochen und Muskeln, eine Mauer von Mann; und er hielt in einer Hand, wie man eine Pike oder ein Schlachtmesser halten würde, ein Schwert von überaus grausamen Ausmaßen; fünf Fuß lang war es oder sogar noch länger. Dieser Schwarzmohr war nackt bis auf ein Halsband aus kleinen Knochen um seinen Nacken und eine Kette mit langen Löwenzähnen um die Hüfte, und seine Haut war eingeölt, daß sie hell glänzte. Dies war der Henker, und man konnte sehen, daß er an seiner Arbeit Geschmack fand, denn er lächelte und sang leise vor sich hin und schwang das gewaltige Schwert durch die Luft hin und her, um die Kraft seines rechten Arms zu erproben.
Ich sah mich um und sagte: »Ah, ihr wollt mich doch nicht an diesem heiligen Tag meines Glaubens töten!«
Ich hatte vor, für sie eine Fabel zu erfinden: daß dies der Tag aller Tage war, an dem niemand hingerichtet werden dürfte, weil seiner Seele der Zugang zum Himmel verwehrt werden würde, wenn er an diesem Tag starb, wenn er nicht gewisse Riten vollzog, was aber nur ein Priester für ihn tun konnte. Doch dieses Produkt meiner fieberhaften und verängstigten Phantasie war müßig, denn sie schenkten dem, was ich sagte, nicht die geringste Beachtung, sondern hielten mich fest und entledigten mich im Handumdrehen all meiner Kleider, und ich stand nackt vor dieser gewaltigen Menge.
Nun ist es ein schreckliches Ding, durch die Klinge des Henkers zu sterben, doch es ist fünfmal schrecklicher, nackt vor Hunderten von Zuschauern zu sterben. Ach je!, die Zuschauer waren genauso nackt oder wenigstens beinahe; doch zumindest waren ihre Geschlechtsteile anständig bedeckt, und außerdem waren sie nicht diejenigen, die an diesem Tage sterben würden.
Und ich stand da, das Glied, die Hoden und alles andere den Blicken der Neugierigen offenbart, was einen Mann seiner gesamten Würde beraubt, und auch noch in dem Augenblick, da er sie am dringendsten braucht, da er alles andere bald verlieren wird. Es ist barbarisch. Als König Heinrich seine Königin Anne Boleyn zum Block schickte, den Kopf zu verlieren, befahl er nicht noch obendrein, sie zu entblößen, damit alle Gaffer ihre königlichen Brüste und Lenden sehen konnten. Noch entblößte er den Zuschauern den gleichermaßen königlichen Bauch und die Hinterbacken der Katherine Howard, seiner späteren Königin, als sie zum Block ging. Oder stellt Euch Sir Thomas More nackt auf dem Schafott vor oder Somerset oder Northumberland oder Norfolk! Nay, es ist zuviel, bis zum Letzten vor den Spöttern entblößt zu werden; doch diese Wilden nahmen keine Rücksicht darauf. Ich hatte die größten Befürchtungen, daß ich mich vor Furcht vollschiß oder mit meinem Urin ihr Gelächter erregte oder, noch schlimmer, daß im letzten Augenblick mein Prügel steif stand, wie
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