Herr der Finsternis
daß er nicht in meine Richtung blickte, denn dann hätte ich auch sein Leben nehmen müssen, und dazu verspürte ich keinen Wunsch. Mit aller Ruhe, die ich aufbringen konnte, glitt ich hinter einen Baum und wartete, spähte dann und wann hervor, während der Häuptling auf und ab schritt und vor sich hin murmelte. Einmal glaubte ich, er hätte meine Richtung eingeschlagen, doch dann drehte er sich um, noch immer tief in seine Betrachtungen versunken. Was für eine edle Gestalt er war, dieser unerbittliche alte Mann, der seine schlaflosen Stunden mit dem Gespräch mit seinen heidnischen Göttern verbrachte! Hätte Gott seine Seele in den Körper eines Christen fahren lassen, so wäre er sicherlich irgendein Fürst gewesen oder ein Erzbischof.
Wie ein Geist trieb er von mir davon; sein schwarzer Körper wurde in der Nacht unsichtbar, und ich konnte nur noch sein weißes Haar ausmachen; und dann war er vollends verschwunden, und ich eilte in den Dschungel.
Wieder einmal war ich frei.
Doch ich war zweifellos der einzige Weiße im Umkreis von fünfzig Meilen, und ich hatte nicht die geringste Hoffnung, allein den Rückweg durch diese Einöden und Wildnisse nach São Paulo de Luanda zu finden. Noch hatte ich keine große Sehnsucht, zu diesem Ort zurückzukehren, bis auf die Tatsache, daß ich dort wieder die Süße meiner Matamba finden würde. Doch ansonsten war ich nicht versessen darauf, diese Portugiesen wiederzusehen; denn sie waren allesamt ein verräterisches Volk, und ich war ein für alle Mal mit ihnen fertig. Ich beabsichtigte, zum Lager der Jaqqas zu gehen. Aye, zu den Jaqqas.
Wie weit war ich nun gereist, von diesem unschuldigen jungen Mann, der zum ersten Mal zur See gefahren war! Dieser Junge hatte alle möglichen schmucken Ermahnungen über die Ehre erhalten, über das richtige Benehmen, über das, was falsch und richtig ist; und er hatte sich in seinen langen Unterweisungen unter den Sternen Afrikas von diesen Ermahnungen getrennt, von einer nach der anderen. Und nun war er auf dem Weg zu dem gefürchtetsten Kannibalenstamm dieses Landes, um sich freiwillig in dessen Dienste zu stellen, und erhob darüber auch keine Fragen der Ehre. Denn ich hoffte bei Gott, daß die Jaqqas bei ihren diabolischen Plünderungen so weit nach Westen ziehen würden, daß wir wieder das Meer sehen konnten; und so würde ich vielleicht auf irgendeinem Schiff und durch Gottes Gnade nach England zurückkehren können. Nur darauf kam es an: dieses verfluchte Land zu verlassen und nach Hause zu segeln. Ich würde rauben, ich würde töten, ich würde, wenn nötig, mir selbst dreimal abschwören, nur, um dieses höllische Afrika verlassen zu können, wohin es mich niemals gezogen hatte und wo ich nun gegen meinen Willen beinahe ein gutes Dutzend Jahre lang festgehalten worden war.
Die ganze Nacht über marschierte ich durch die schreckliche Dunkelheit. Ich vernahm Geräusche, die ich nicht benennen, und roch Ausdünstungen von Tieren, die ich nicht sehen konnte. Manchmal erklang ein abscheuliches, schnüffelndes Geräusch, als würde sich eine große Schnauze dicht gegen den Boden drücken, und manchmal ein ängstliches, schwaches Winseln, gefolgt von einem Knurren und dann dem Schmerzensschrei eines anderen Geschöpfes.
Ich wußte, daß der schädelgesichtige Tod auf leisen Pfoten neben mir einhertrottete und daß er mich in jedem Augenblick, in dem es ihm beliebte, nehmen konnte. Doch es beliebte ihm nicht. Ich brachte eine große Entfernung zwischen mich und Mofarigosat, bevor ich mir etwas Ruhe gönnte; und dann sank ich auf einem feuchten, moosbewachsenen Hügel nieder und gab mich dem Schlaf hin, der über mich kam, als sei ich betäubt worden.
Zwei Dinge zugleich weckten mich. Zum einen der Anbruch des Morgens, bei dem bleiches Sonnenlicht den grünen Baldachin der Kletterpflanzen über mir durchdrang; und zum anderen, weil gewisse kleine runde Insekten über meinen Körper krochen, die hellrot mit schwarzen Flecken waren und mich im Übermaß in alle freiliegenden Stellen bissen. Jeder Biß war wie der Stich einer heißen Nadel. Ich schaute sie erstaunt an und sah, wie die kleinen Geschöpfe ihre scharfen Röhren in mich stachen und das Blut aus mir heraussaugten; und mit einem Heulen wischte ich sie fort, doch mehrere dieser Röhren blieben in meinem Körper stecken, was sehr schmerzhaft war, und ich mußte sie mit großer Sorgfalt herausziehen. Nach wenigen Augenblicken entzündete sich jeder Biß, und rote
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