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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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die Spartaner des Altertums werden sie vom Knabenalter an zur Kühnheit erzogen. Zum einen gibt es den Brauch, neu aufgenommenen Jaqqas das Sklavenhalsband anzulegen, das sie tragen mußten, bis sie in der Schlacht einen Gegner getötet hatten. Es ist keine Schande für einen Jungen, diesen Kragen zu tragen, zumindest nicht, wenn er dreizehn oder vierzehn ist. Doch wenn er ein oder zwei Jahre älter ist und noch immer ein Halsband trägt, verspotten die Männer ihn, und die Mädchen wollen nicht bei ihm liegen, und er wird in der Schlacht vorstürmen, um zu töten oder getötet zu werden, weil er sonst als wertlos erachtet wird.
    So versteht Ihr, daß nur die kriegerischen Jaqqas das Mannesalter erreichen und die schwachen frühzeitig aus dem Stamm gesondert werden. Doch wenn durch irgendein glückliches Schicksal ein Schwächling überlebt, wird er seine reifen Jahre nicht lange genießen können, denn die Soldaten, die nur wenig Mut haben und dem Feind den Rücken zuwenden, werden verdammt und als Feiglinge getötet, und ihre Leichen werden verspeist. Ich habe dies selbst gesehen.
    Ich fragte Kinguri, warum sie das Fleisch eines Feiglings zum Teil ihres eigenen Fleisches machten, und er musterte mich stirnrunzelnd, als hätte ich ihm diese Frage auf griechisch oder hebräisch gestellt, und schließlich sagte er: »Ihre Feigheit verkocht im Topf, und was bleibt, ist ihre angeborene Kraft, die wir verzehren.«
    Sie kennen viele andere Möglichkeiten, ihren Mut zu stärken. Eine davon konnte ich einige Zeit nach der Eroberung von Kalungu beobachten, wo wir fünf oder sechs Monate blieben und uns von den Gütern dieses Bauernvolkes ernährten. Einige Jaqqa-Krieger nahmen eine Löwin von großer Wildheit gefangen, wobei sie eine Falle mit einem Kind als Köder benutzten. Diese Löwin die weiblichen Tiere sind sehr viel wilder als die männlichen – ketteten sie am Stamm eines großen, rotrindigen Baumes inmitten einer geräumigen Ebene außerhalb ihres Forts an. In der Nähe errichteten die Jaqqas in der Krone eines anderen Baumes eine Art Gerüst, das den Imbe-Jaqqa und die wichtigsten seiner Fürsten aufnehmen konnte, zu denen ich nun auch gezählt wurde.
    Als Calandola und sein gesamter Hofstaat dieses Gerüst bestiegen hatten, bauten die anderen Jaqqas sich in einem großen Kreis auf und veranstalteten einen gewaltigen Lärm, in den der Mißklang zahlreicher seltsamer Musikinstrumente einfiel, die ein Höllenspektakel veranstalteten. Dann gab der Imbe-Jaqqa ein Zeichen, und alle waren plötzlich leise und still; und augenblicklich wurde die Löwin losgebunden, was sie allerdings mit dem Verlust ihres Schwanzes bezahlte, der ihr gleichzeitig abgeschlagen wurde, um sie noch mehr zu erzürnen.
    Zuerst sah die Löwin sich um; sie erkannte, daß sie wieder frei war, wenn auch nicht völlig frei, denn eine Vielzahl von Jaqqas umzingelte sie. Sofort stimmte sie ein schreckliches Brüllen an und stürzte sich dann, begierig auf Rache, in die Menge der Zuschauer, die nicht flohen, sondern im Gegenteil auf die Löwin zuliefen. Sie fiel über sie her, zerriß einen, und einen zweiten, und veranstaltete ein fürchterliches Gemetzel unter ihnen: und all dies, während die Leute unbewaffnet um sie herumliefen, entschlossen, sie entweder mit bloßen Händen zu töten oder zu sterben. Selbst in meinen befremdlichsten Träumen hatte ich noch nie etwas gesehen, das diesem blutigen Ereignis gleichkam, und ich glaubte einen Augenblick lang, im Circus des alten Roms zu sein und zu sehen, wie man Christen wilden Tieren vorwarf. Doch dies waren keine Christen, und sie waren freudig und bereitwillig auf diese tobende Löwin zugegangen.
    In völligem Erstaunen beobachtete ich, wie das blutende Tier diesen und jenen Jaqqa mit den Pranken zerriß oder mit den Fängen griff. Sie tötete mehr als nur ein paar ihrer Angreifer. Die Jaqqas zogen ihren Ring enger und kämpften miteinander um das Privileg, im innersten Kreis zu stehen, der Löwin am nächsten.
    Es kam mir wie der reine Wahnsinn vor. Doch es rührte mich auch auf: Mein Herz raste, mein Blut erhitzte sich, der Schweiß strömte aus allen Poren. Ich drängte mich zum Rand des Gerüstes, ballte die Fäuste, so daß die Nägel beinahe meine Handflächen durchdrangen, und schrie denen unten zu: »Vorsicht! Spring! Dreh dich um! Paß auf!«, während die Löwin raste und tobte.
    Die anderen hohen Jaqqas waren von dem abscheulichen Spektakel nicht minder gepackt. Selbst Calandola knurrte

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