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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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an mir, wie ein Barbier nach Geschwüren suchen mag, wobei sie die Haut hier und da zwischen die Finger nahm, was ich nicht als unangenehm empfand. Nach einiger Zeit empfand ich aber gar nichts mehr als unangenehm. Sollen die Jaqqas in meinem Zimmer tanzen, soll aus meiner Anne Katherine Rose und aus meiner Rose ein Skelett werden, soll papistischer Weihrauch brennen, es war mir alles gleich, denn ich lag im Sterben, und die Dinge dieser Welt waren alle eins, hatten keine tiefere Bedeutung mehr. Luftblasen. Ich speiste zur einen Stunde mit der Blutigen Königin Maria und zur nächsten mit ihrem Vater, dem Großen Heinrich. Ich sah den guten Jesus und all Seine Jünger, und Peter und Johannes und Thomas führten Taschenspielertricks vor, die mich lachen und klatschen ließen. Ich tanzte mit Coccodrillos eine schöne Galliarde. Ich speiste am Hofe des Hohen Khans von Cathay und mit dem Erzherzog von Moskau, durchschritt die lange Marmorgalerie der Herren von Byzanz und trank den goldenen Wein von Priester John. Ich paarte mich mit Delphinen und Schlangen und der Tochter des Pharao. Ich wanderte in Zeitalter, die erst noch kommen müssen, und in solche, die längst vergangen sind. Ich trieb von einem Wunder zum nächsten, in benommener Entrückung, und hatte nicht den Wunsch, daß es jemals enden möge.
    Doch es fand ein Ende. Die Welt wurde Tag um Tag wieder wirklicher, bis ich in die echte Wahrheit meiner Umgebung aufstieg. Und dann wäre ich lieber in meine Träume und Fieber zurückgekehrt.
    Ich sah mich in einem Zimmer mit irdenem Boden und irdenem Dach, einer unterirdischen Kammer, an der Spitze durchbohrt von einem kreisrunden Abzugsloch, durch das ein schwacher Lichtstrahl fiel. Die Einrichtung bestand lediglich aus einem elendigen Strohhaufen und einem Kübel mit einer trüben Brühe dahinter, und eine Palisade aus stämmigen Pfosten verbarrikadierte die Tür, mit einer Kette darüber, so daß ich nicht sicher war, ob ich mich in einem Hospiz oder einem Kerker befand oder einer Mischung aus beidem. Was, wie ich später herausfand, der Fall war.
    Ich war schwach wie ein Welpe. Ich konnte nicht aufstehen. Ich berührte das Gesicht mit zitternden Händen und fühlte, daß meine Wangen ganz steinern und hohl waren wie die eines Totenschädels und überall grober Bart sproß. Meine Augen waren trüb, doch ich konnte gut genug sehen, um meinen nackten Körper vor mir auszumachen, fleischlos, die Hüften wie Krummdolche hervorstehend, die Haut locker und schlaff und gelb, meine Männlichkeit verschrumpelt wie die eines Mannes von neunzig Jahren, schlaff und traurig. Also war ich nicht tot, aber auch alles andere als lebendig.
    Das Tor wurde zurückgeschoben, und eine Frau betrat meine Zelle. Ich konnte sie nur verschwommen ausmachen, doch sie war schlank und geziemend jung, mit einem Leibchen und einer Robe aus einem dunklen, samtartigen Stoff und einer Art Überwurf auf den Schultern, gewoben wie ein Netz aus feinen Fäden, und einem Schleier vor dem Gesicht. Ich hielt sie für eine Nonne, obwohl ich verblüfft war, Goldketten um ihren Hals zu sehen, und daß ihre Haube aus schwarzem Samt mit Juwelen eingefaßt war. Dies erschien mir nicht wie die Kleidung einer Nonne, obwohl solche Üppigkeiten bei den Papisten mittlerweile Wurzeln geschlagen haben mochten, wie ich sehr wohl wissen sollte.
    »Dann seid Ihr wach?« fragte sie auf portugiesisch.
    »Aye.«
    »Und wieder bei Sinnen?«
    »Dessen kann ich mir nicht so sicher sein. Was für ein Ort ist dies?«
    »Das Hospiz von Santa Maria Magdalena in São Paulo de Luanda, wo Ihr all diese Monate krank gelegen habt.«
    »Monate? Was für einen Monat schreiben wir?«
    »Es ist der Monat des Festes des Heiligen Antonio.«
    »Bei Gott, ich kenne eure Heiligen nicht! Welchen Monat des Kalenders?«
    »Juni.«
    Dies traf mich hart. Erstens, daß ich ein halbes Jahr nicht bei Sinnen geschlafen hatte, und zweitens, daß nun zwei Jahre vergangen waren, seit ich England verlassen hatte. Mein Leben floh dahin, und ich trieb hilflos und verloren.
    Die Frau hatte mir Essen gebracht. Es war eine Schüssel mit irgendeinem zerstampften Zeug, das in einer hellen Soße schwamm.
    Sie kauerte neben mir nieder und bot mir etwas davon auf einem hölzernen Löffel an, wobei sie sagte: »Ihr müßt wieder zu Kräften kommen. Ihr habt sehr wenig gegessen. Wollt Ihr es versuchen?«
    »Was ist das?«
    »Eine Speise namens Maniok, die wir aus der Erde graben und rösten, die ganze Wurzel, und zu

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