Herr der Krähen
und Bannzauber glaubt, hätte Kamĩtĩ das, was ihm am Morgen geschehen war, als sicheres Zeichen dafür genommen, bei Tagesanbruch von irgendjemandem mit einem bösen Zauber belegt worden zu sein.
Als er am Morgen dieses Tages, den er jetzt den Tag der Demütigung nannte, erwachte, hatte Kamĩtĩ über die Art und Weise, sich in dieser grausamen Stadt über Wasser zu halten, eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Er wollte, wie er es nannte, in Buddhas Fußstapfen treten. Oder zumindest in die seiner Anhänger. Die beste Zeit dafür war der Abend, wenn es dunkel wurde. Er wollte nicht von seinen Freunden oder früheren Klassenkameraden gesehen werden, wenn er seinen neuen Beruf ausübte, wie heilig dieser auch sein mochte. Für den Tag stellte er sich deshalb zwei Aufgaben: Erstens wollte er weiterhin an Türen klopfen, um vielleicht Arbeit zu finden, und zweitens wollte er sich nach den vielversprechendsten Orten für die Ausübung seines neuen Berufs als Bettler umsehen. Marktanalyse nannte er das.
Er begann seinen Erkundungsgang an der Ruler’s Plaza im Stadtzentrum. Die Plaza war umgeben von den führenden Hotels, den Futterkrippen ausländischer Kunden, vor allem der europäischen, amerikanischen und japanischen Touristen. Er kam am Angel’s Hotel vorüber, und als er sah, wie viele Touristen es schon zu dieser frühen Tageszeit bevölkerten, blieb er stehen und der Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Warum unternehme ich nicht sofort die ersten Schritte zur Nachahmung Buddhas, anstatt bis zum Abend zu warten? Sein Blick wanderte die überfüllte Veranda entlang bis zur Angel’s Corner, die für ihre Akazie berühmt war. Um deren Stamm herum waren Stühle und Tische aufgebaut, umgeben von Kellnern in weißen, fließenden Gewändern, mit rotem Halstuch und passendem roten Fez.
Genau in dem Moment fiel sein Blick auf … Konnte das sein? Margaret Wariara? Er hatte sie über zwei Jahre nicht gesehen, und jetzt das! Sie trug ein Minikleid, hochhackige Schuhe und eine braune Perücke. Sie stand Hand in Hand mit einem weißen Touristen, dessen Hängebauch von Hosenträgern gehalten wurde, und wartete darauf, dass der Kellner ihren Tisch reinigte und neu eindeckte. Wariara drehte den Kopf und für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich ihre Blicke, bevor sie sich wieder ihrem Begleiter zuwandte. Beide, Kamĩtĩ und Wariara, wussten, dass sie einander erkannt hatten, aber sie taten so, als wären sich ihre Blicke nicht begegnet. Sie wechselten kein Wort, tauschten keinen Blick, es kam nicht einmal zu einer verlegenen Geste des Erkennens. Kamĩtĩ ging schnell davon, als hätten ihn plötzlich Safari-Ameisen gebissen.
Er strengte sich an, Wut zu empfinden, aber so sehr er es auch versuchte, er empfand keinen Zorn, da er keinen Unterschied entdecken konnte zwischen dem, was er zu tun sich entschlossen hatte, nämlich den Weg Buddhas zu gehen, und dem, was sie hier tat – als Menschenfischerin, wie sie es in ihrem Abschiedslied genannt hatte. Aber die Begegnung mit Wariara an der Angel’s Corner schwächte seinen Entschluss, Buddha nachzuahmen. Er beschloss, lieber bei weiteren Büros anzuklopfen, in der Hoffnung, es würde sich doch noch eine Tür für ihn öffnen. Nach über drei Jahren Suche ein Mal ein wenig Glück zu haben, war alles, was er brauchte.
Und so wanderte er an jenem Morgen von Büro zu Büro und stellte immer wieder die Frage, ob irgendeine Stelle frei sei. Er versuchte es bis zum späten Vormittag, bis der Hunger ihn an den Fuß der Müllhalde trieb, um nach ein paar weggeworfenen Tomaten oder anderen essbaren Resten zu suchen. An Tomaten, Ananas oder Bananen mochte er, dass man immer, egal wie schmutzig sie waren, die Schale abziehen und zum sauberen Inhalt vordringen konnte. Doch er kam nicht dazu, irgendetwas aufzulesen, weil er genau in diesem Moment zusammenbrach und spürte, wie er, oder vielmehr sein Seelen-Ich, sich von seinem hungrigen Leib löste.
Diese beiden Zwischenfälle, die Begegnung mit Wariara und dann die mit dem Tod, ließen ihn noch verzweifelter nach Arbeit suchen, denn seinen Lebensunterhalt auf den Spuren Buddhas zu bestreiten, schien ihm keine so gute Idee mehr. Er wollte nicht, dass seine und Wariaras Wege sich je wieder kreuzten, nicht an irgendwelchen Angel’s Corners in Aburĩria noch sonst irgendwo. Nur aus dieser Verzweiflung heraus hatte er sich bei Tajirika einzuschmeicheln versucht und anschließend den Kelch der Demütigung bis zur Neige leeren
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