Herr der Nacht
eine Straße. Sie war aus Marmor und mit Säulen gesäumt, und ihre Berührung verriet ihm, daß sie zu den Toren von Druhim Vanaschta, Stadt der Dämonen, führte.
Aber er war noch nicht lange auf der Marmorstraße, als er hinter sich einen Lärm hörte, der so schrecklich war, so furchterregend, so ähnlich dem Bellen von Wölfen – doch schlimmer, viel schlimmer –, daß er wußte, die Jagdhunde der Vazdru hatten seine Spur ausgemacht.
Anstatt zu fliehen oder Schutz zu suchen, hielt Kasir an und drehte sich um. Er hörte das Knurren und Bellen näherkommen, hörte die Hufschläge der Dämonenpferde, das Klingeln ihres Geschirrs, die Rufe der Vazdru. Dann erhob Kasir sanft seine eigene Stimme über das Getöse und begann zu singen. Und die Seele Kasirs sang mit all der Schönheit seiner sterblichen Stimme, vielleicht noch schöner. Er sang, aber wovon er sang, ist verlorengegangen. Was immer es auch war, die Hunde hörten auf zu rennen und legten sich auf die Straße, die Pferde senkten den Kopf, selbst die Prinzen saßen da, die bleichen, schönen Gesichter auf beringte Hände gestützt, und hörten aufmerksam zu.
Als das Lied zu Ende war, entstand eine Stille, und durch die Stille drang eine andere Stimme, eine Stimme, die ebenso herrlich war wie die Kasirs, jedoch eine Stimme, die wie Schnee war, der über die singende Flamme des Poeten fiel, und nicht von goldener Farbe sondern schwarz wie die Nacht.
»Träumer«, sagte die Stimme, »du bist weit von deinem Weg abgekommen.«
Beim Klang dieser Stimme erhob Kasir seinen blinden Blick, und die ihres Lichts beraubten Augen ruhten auf dem Wesen, das da sprach, nutzlos zwar, doch mit einer Art von Höflichkeit.
»Nicht länger mehr«, sagte Kasir, »da ich hierhergereist bin in der Hoffnung, dir zu begegnen, Lord Asrharn, Prinz der Dämonen.«
»Wie, bist du blind?« fragte Asrharn. »Blinde Seele, du warst töricht, dich an diesen Ort zu wagen, vor dem selbst Menschen mit zwei weiten Augen zittern. Was kannst du von mir wollen?«
»Dir etwas zurückgeben, Herr der Nacht, das dein Volk geschaffen hat«, sagte Kasir. Und er holte das silberne Werk Vayis heraus, das er mit zur Unterwelt gebracht hatte, da das Halsband, weil es aus Schatten und im Schattenland gefertigt war, durch den Schlaffluß zurückkehren konnte, was kein sterbliches Geschöpf – Fleisch oder Metall – vermochte. Kasir streckte die Hand mit dem Halsband aus, dann ließ er es auf die Straße vor die Vazdru fallen. »O Prinz«, sagte Kasir, »nimm dies, dein Spielzeug, zurück, denn es hat genug Blut getrunken, so daß selbst du zufrieden sein mußt.«
»Hüte dich«, sagte Asrharn, sanft wie Samt, sanft wie eine Katzenpfote, deren Krallen allezeit bereit sind herauszukommen, »hüte dich, Liedersänger, was du zu mir sagst.«
»Gebieter, Prinz«, sagte Kasir, »wenn du es wolltest, du möchtest mich lesen wie ein Buch. Da ich weiß, daß ich meine Gedanken nicht vor dir verbergen kann, spreche ich offen. Die Tugenden von Dämonenart sind verschieden von den Tugenden der Menschen. Ich spreche nur die Wahrheit der Dinge aus: das Halsband hat in der Welt viel Leid und Schlächterei verursacht, was nichts weiter ist, als was du wünschst. Daher freue dich, grenzenloser Prinz, doch ich, da ich sterblich bin, muß trauern.«
Bei diesen Worten lächelte Asrharn, und obwohl Kasir es nicht sehen konnte, spürte er doch das Lächeln.
»Du bist tapfer, blinde Seele, und ehrlich, wie du sagst. Wagst du es auch, meine Stadt der schlanken Türme zu betreten und dort für mich zu singen?«
»Mit Freude will ich für dich singen. Aber ich werde um einen Preis bitten«, sagte Kasir.
Asrharn lachte. Hatte je eines Menschen Seele im Schlaf solch ein Lachen gehört?
»Kühn, blinder Held«, sagte der Prinz, »dein Preis mag zu hoch sein. Nenne ihn jetzt, und ich werde sehen.«
»Eine Frau weint in deiner Stadt. Ihre Tränen befinden sich in diesem blutigen Halsband. Sie ist eine Blume und sehnt sich nach der Sonne. Mein Preis ist ihre Freiheit, durch die Länder der Menschen zu wandern.«
Asrharn antwortete nicht für eine lange Zeit. Nur die Geschirre der Dämonenpferde klirrten leise. Der blinde Poet stand ruhig auf seinen Stab gestützt.
»Ich werde einen Handel mit dir abschließen«, sagte Asrharn dann plötzlich. »Komm in meine Säle, und ich werde dir eine Frage stellen, und du sollst mir deine Antwort in einem Lied singen, und wenn das Lied wahr ist und die Antwort die richtige,
Weitere Kostenlose Bücher