Herr der Nacht
ganz still geworden. Als die letzten Worte des Dichters zwischen ihnen herabschwebten, schienen sie zu Eis erstarrt.
Kasir stand eine lange Zeit der Stille hindurch in Asrharns Saal. Dann sagte Asrharn: »Die Frage ist beantwortet.« Nicht mehr, nicht weniger, und vielleicht konnte nur der Poet mit seinen empfindlichen Ohren in diesem Zugeständnis hören, wie die Stimme Asrharns niedergeschlagen und verändert klang – wie mit Schmerz beladen, oder gar mit Furcht.
Aber der Handel war abgeschlossen, und alsbald eilte eine der Eschva aus dem Palast und fand Ferashin, die in einem der schattigen Gärten spazierte.
Demütig, traurig, in ihrem wolkigen Schleier, das Gesicht bedeckt, so betrat sie Asrharns Saal.
Asrharn bat sie näher zu sich und sagte:
»Ein Sterblicher hat eine Freiheit erkauft mit einem grabeskalten Lied. Seine Seele muß zurückgehen durch den Schlaffluß, aber ein Nachtvogel soll dich zum Boden der Erde tragen, aus dem du kamst.«
Ferashin blickte auf.
»Und werde ich die Sonne sehen?« fragte sie.
»Bis dir davon schlecht wird«, antwortete Asrharn. »Und ihn sollst du ebenfalls sehen, deinen Retter, denn du sollst sein sein.«
Aber obwohl er leise sprach, hörte Kasir seine Worte und rief aus: »Nein, Prinz-Gebieter. Sie war zu lange das Eigentum anderer. Ich beanspruche sie nicht als mein Eigentum. Ich schloß den Handel nur mit dir ab, um sie freizubekommen.«
»Und doch liebst du sie«, sagte Asrharn, »oder du wärest nicht gekommen.«
»Seit ich ihren Tränen begegnet bin, die in das Silberhalsband eingesetzt sind, habe ich sie geliebt«, sagte Kasir ruhig, »und nun, da ich sie mir nahe fühle, liebe ich sie noch tiefer. Aber sie weiß nichts von mir.«
Indes hatte Ferashin sich umgedreht, um ihn anzuschauen, denn seine Stimme hatte die Farbe der Sonne. Sie sah sich sein Gesicht an, seine Gestalt, sein Haar, seine Augen, und als sie auf ihn zutrat, sah sie, daß er blind war. Er hatte Körper und Geist für sie gewagt und verlangte nichts dafür zurück. Sie liebte ihn sofort; wie hätte sie ihn nicht lieben können?
»Ich werde mit Freuden zu dir kommen«, sagte sie, »und dich lieben, solange du es wünschst.« Dann ging sie zurück zu Asrharn und sagte mit sanfter Stimme: »Du ließest mich aus einer Blume wachsen, und ich war unsterblich, während ich in deinem dunklen Reich lebte. Wenn Kasir alt wird, wie alle Menschen es tun, laß mich ebenfalls neben ihm alt werden, denn ich möchte nicht anders sein als er, und wenn er stirbt, wie alle Menschen es tun, laß auch mich sterben, denn ich möchte nicht von ihm getrennt sein.«
»Wenn du mein Land verläßt und gehst, um auf der Erde zu wandeln, wirst du den Gesetzen der Erde unterstehen«, sagte Asrharn. »Du wirst altern und du wirst sterben, und ich wünsche dir Vergnügen dabei.«
»Und nach dem Tod, werde ich mit Kasir beisammensein?« fragte Ferashin.
»Frage die Götter«, sagte Asrharn. »Alle Wesen der Erde haben Seelen, selbst die Blumen, die dort wachsen, aber ihr mögt einander verlieren in den Nebeln an der Schwelle des Todes.«
»Dann laß mich sterben in dem Augenblick, da Kasir stirbt, so daß wir Hand in Hand gehen mögen.«
Asrharns Kohlenaugen bekamen einen schwarzen Schimmer, aber Ferashin, deren eigene Augen durch ihre Träume geblendet waren, bemerkte es nicht.
»So laß dies mein Geschenk für dich sein«, sagte Asrharn. »Im selben Augenblick, da du weißt, daß Kasir tot ist, sollst auch du sterben.«
Ferashin dankte ihm. Der Saal wurde von Flügelschlägen erfüllt. Ein Sternenvogel trug Ferashin davon, hinauf durch die verzauberten Tore, hinaus aus dem Berg, zu den Hügeln und Tälern der Welt, während ein anderer Kasir zurücktrug zum Fluß des Schlafes, durch welchen er zurückkehren mußte, um seinen Leib wiederzugewinnen.
Zur selben Zeit stand Asrharn auf einem hohen Turm mit Vayis Halsband in der Hand. Der Prinz der Dämonen schaute nach Norden und Osten, nach Westen und Süden und prüfte im Geist die Schätze seines Reiches, aber die Stimme Kasirs drang sogar dorthin, um ihn heimzusuchen, und sang von der leeren Erde und ihrer Trostlosigkeit, sang davon, wie der Prinz der Prinzen ohne Menschengeschlecht nur ein namenloser Maulwurf unter der Erde wäre. Und alsbald zerdrückte Asrharn das Halsband in seinen Händen zu einem formlosen, geschmolzenen Ding und schleuderte es hinunter auf die Straßen von Druhim Vanaschta wie einen Fluch.
*
Kasir wachte gegen Morgengrauen im Haus der
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