Herr der Nacht
wird. Es ist ein Ort voller Fallen, aber wenn du seinen Gefahren entrinnen kannst, und den jagenden Hunden der Vazdru, und du überquerst die Ebenen, wirst du die Stadt der Dämonen erreichen und kannst, wenn du willst, Asrharn entgegentreten. Bitte ihn dann um dein Mädchen, das aus einer Blume geschaffen wurde. Wenn Asrharn deine Bitte erhört – und er mag es wohl tun, denn wer kann seine Laune an jenem Tag voraussagen – wird er selbst dich und sie sicher zur Erde hinaufbringen. Aber wenn er zu der Stunde, da du ihn antriffst, gnadenlos und grausam ist, dann bist du verloren, und nur die Götter wissen, welcher Folter oder welchen Qualen er dich aussetzen wird.«
Kasir ergriff bloß die Hand der Hexe, und indem er sie in festem Griff hielt, sagte er:
»Das Kind mag sich fürchten, geboren zu werden, und die Mutter, zu gebären, doch keiner von beiden kann etwas anderes wählen, wenn die Zeit gekommen ist. Genausowenig habe ich eine Wahl. Dies ist mein einziger Weg. Darum mixe deinen Trank, freundliche Zauberin, und laß mich heute nacht meine Straße hinunterziehen.«
Kasir ging durch das Haus des Schlafes wie alle dort hindurchgehen, ohne Bewußtsein, und erwachte an den Ufern des großen Flusses.
Manchmal vermögen die Blinden im Schlafe zu sehen, wenn sie vor ihrer Blindheit im Leben viel gesehen hatten, und wer könnte bezweifeln, daß alle Seelen sehen können, wenn sie erst einmal vom Körper befreit sind. Aber der Leib Kasirs lebte noch und hatte wenig gesehen, bevor ihm das Augenlicht genommen wurde. Daher war seine Seele, die sich an jenem kalten, kahlen Ufer entlang bewegte, ebenso blind wie seine irdische Gestalt. Tatsächlich glich die Seele Kasirs genau seinem Fleisch, hatte seine klaren Augen, trug sogar seine Kleidung und hielt den Geist seines Blindenstocks in der Hand.
So stand er am Ufer des Schlafflusses, wo der weiße Flachs wuchs, und er roch den eisigen Geruch des Wassers und hörte sein eisernes Rauschen, und in die andere Richtung erstreckte sich das schwarze Land mit seinen Bäumen aus Elfenbein und Golddraht, doch die konnte er nicht sehen.
Dann kniete Kasir nieder und legte seine Hand auf einen Kieselstein, der am Ufer lag.
»In welcher Richtung liegt die Stadt der Dämonen?« fragte Kasir. Und er fühlte, daß der Kiesel an einer Seite ein kleines bißchen warm war, und so stand er auf und ging in jene Richtung, weg vom Fluß, und erfühlte seinen Weg vor sich mit seinem Stab.
Er ging eine lange Strecke, doch bisweilen pflegte er seine Hand auszustrecken und die metallische Rinde eines Baumes abzutasten und wußte dann, welchen Weg er einschlagen mußte und wie weit die Stadt entfernt war. Die ganze Zeit über war kein Geräusch außer dem Wind von der Unterwelt zu hören. Doch plötzlich spürte er ein geisterhaftes Wesen, wirbelnd wie Rauch, und eine Stimme murmelte:
»Sterblicher, du bist von weit her gekommen in deinem Traum. Ich bin Vergessen, der Sklave des Schlafs. Suchst du mich? Laß mich meine Arme um dich legen und all deine Erinnerungen aus dem Becher deines Gehirns trinken, so daß, wenn du erwachst, die Menschen dich nach deinem Namen fragen werden, und du wirst dich nicht erinnern. Bedenke, welchen Frieden ich dir anbiete: keine vergangenen Verbrechen oder Schanden, um dein Gedächtnis zu bewölken, frei wie die Luft der Erde, das Ablegen deines alten Lebens wie ein Kleidungsstück.«
Aber es gab keine Verbrechen oder Schande in Kasirs Vergangenheit, die er vergessen müßte.
»Nein, ich suche nicht dich«, sagte Kasir, »ich suche Asrharn, den Prinzen.«
»So geh denn«, sagte das rauchige Wesen. »Wenn du sein werden sollst, wirst du nicht mein werden.«
So ging Kasir weiter, aber später kam ein anderes Wesen, süßer und verlockender als das erste:
»Sterblicher, du bist weiter als weit gekommen in deinem Traum. Ich bin Fantasie, das Kind des Schlafes. Suchst du mich? Laß mich mein Haar um dich schlingen und den Becher deines Gehirns füllen mit Tänzerinnen und Palästen, auf daß du mich bitten wirst, dich nicht aufwachen, sondern für immer in meinen bunten Hallen verweilen zu lassen. Bedenke, welche Wonne ich dir anbiete: eine zweite Welt, lieblicher als die erste.«
Doch Kasir kannte Fantasie, denn er wob seine Lieder aus ihrem Stoff.
»Nein, ich suche nicht dich«, sagte er, »doch ich kenne dich gut. Ich suche Asrharn, den Prinzen.«
»So geh denn«, sagte die Süße. »Wenn du sein werden sollst, bist du schon mein.«
Danach fand Kasir
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