Herr der Nacht
erdulden? Sprich!«
Zoraschad befand sich wieder im Besitz dieser Fähigkeit. Er flüsterte: »Ich sehe, ich habe dir Unrecht getan, o Mächtiger. Laß mich nur frei, und ich werde dich anbeten, dir einen Tempel bauen, der den Himmel berührt – dir jeden Morgen und Abend eine Tonne Räucherwerk bringen und immer zu Ehren deines Namens opfern.«
»Mein Name ist Asrharn, Prinz der Dämonen«, sagte der Fremde, und bei diesen Worten flackerten die zweitausend Kerzen und erloschen. »Ich werde nicht angebetet, nur gefürchtet – von Menschen, die keine Götter sind. Unter dem Himmel, auf der Erde oder unter ihr, bin ich, und nur ich allein, ohnegleichen.« Zoraschad wimmerte wie ein geprügelter Hund. Im düsteren blutroten Schein der Kohlebecken, die das einzige Licht abgaben, das im Saal noch brannte, sah er die Hand des Prinzen auf sich zukommen und fühlte, wie das Zauberamulett von seiner Brust gerissen wurde. »Dies ist deine Macht«, sagte Asrharn, als er es in der Hand hielt, »das, und sonst nichts. Dies ist es, was die Menschen dich fürchten ließ, dies ist der Grund deiner Selbstliebe.« Dann spie er auf den Stein und ließ ihn auf den Tisch fallen.
Sogleich flammte ein silbriger, tanzender Feuerstrahl an der Stelle auf, die er bespien hatte. Die Flamme nagte am Amulett; es glühte auf, bis es weißglühend zu sein schien und zersprang kurz darauf in tausend Stücke.
Großer Tumult herrschte in des Königs Saal. Die vom Bann des Steines befreiten Menschen sprangen auf die Füße und stießen zusammen. Nur der König lag in seinem Stuhl wie ein fieberkranker, alter Mann.
Der Fremde war natürlich verschwunden.
*
In dieser Nacht geschahen viele Wunder. In den Palästen von sechzehn Königen erschienen sechzehn Omen. Einige, die schliefen, wachten auf mit einem Ruf nach den Priestern, damit sie einen Traum deuten sollten. Zehn sprachen von einem riesigen Vogel, der in ihre Zimmer geflogen kam und ihnen in einer melodiösen Stimme zuflüsterte. In fünf Königreichen sprang eine Schlange aus dem brennenden Herd wie ein Stück Kohle und rief laut ihre Botschaft. Und im Norden traf ein junger und sehr schöner König, als er schlaflos in seinem Garten im Mondschein spazierte, einen Mann in einem schwarzen Umhang, dessen Haltung die eines Prinzen war, und der zu ihm sprach wie ein Freund oder ein Bruder und ihn küßte, bevor er ihn verließ, mit einer Berührung, die Furcht und Schauer in ihm erregte wie Feuer. Und der Inhalt all dieser Wunderbotschaften in der Nacht der sechzehn Könige war folgender: Das Zauberamulett Zoraschads, des Tyrannen, ist zerstört, und seine Macht ist zu Ende.
Das Vasallentum unter Zoraschads Herrschaft war für sie kein Honigschlecken gewesen. Die schweren Tribute hatten sie ausgezehrt; ihr Stolz schmerzte sie wie eine alte Wunde. Sie schlossen sich zusammen und schlugen bald mit Zoraschad eine ungeheure Schlacht auf einer Ebene im Osten. Zoraschad war kein Gott mehr. Seine Hand zitterte, sein Gesicht war weiß wie Papier. Seine eherne Armee stahl sich davon und ließ ihn zurück, und kurz darauf wurde er erschlagen. Aber seine alten Greuel waren nicht vergessen. Wie Geier fielen die sechzehn Könige über Zojad her und machten es dem Erdboden gleich. Der Palast brannte, die Schatzkammern wurden geplündert, und der Stuhl der Ungewißheit wurde in tausend Stücke zerhauen. Der ganze Hof, Familie und Dienerschaft Zoraschads, wurde mit dem Schwert getötet, wie er so viele Höfe ausgerottet hatte. Sieben Söhne und zwölf Töchter und alle Frauen Zoraschads starben in dieser Nacht, sie metzelten sogar seine Hunde und Pferde nieder, selbst die Vögel in seinen Bäumen, so groß war ihr Haß und ihre Furcht. Später freuten sie sich darüber, daß sie jedes lebende Wesen, das dem Gott-König von Zojad gehört hatte, umgebracht hatten. Aber ein lebendes Wesen war ihnen entkommen.
In jener Nacht wurde ein Kind geboren, die dreizehnte Tochter Zoraschads. Die Soldaten fanden die Mutter und töteten sie, aber eine alte Frau, eine Amme, hatte das Kind an sich gerissen und war damit davongerannt. Sie rannte die große Straße entlang, die zwischen den Statuen des Gottes Zoraschad aus Zojad herausführte. Und während sie rannte, verfluchte sie ihn. Gegen Abend zersprang ihr gebrechliches Herz in ihr, und sie fiel tot zu Boden. Das Kind fiel aus ihren Händen auf die gepflasterte Straße. Seine beiden Arme brachen beim Aufprall, und sein weiches Gesicht, das noch kaum geformt war,
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