Herr der Nacht
sofort, daß er sich über den Priester lustig machte und nur zu diesem Zweck hergekommen war, aber das war nichts im Vergleich mit dem Reiz, den der Anblick des jungen Mannes auf sie ausübte. Alles erregte sie auf einmal, seine Wirklichkeit, sogar sein Spott. Er war erstaunlich, aber wirklich. Ein Teil der Erde, die sie kannte. Sie wurde ganz Freude, ganz Bewunderung. Sie hatte nichts vom Leoparden verlangt, außer ihn bewundern und pflegen zu dürfen, und er hatte sie erduldet, ohne zurückzuweichen. Nun wünschte sie sich nur, den jungen Mann auf dem weißen Pferd anzubeten.
Wie unter Zwang, ohne zu überlegen, ihrer selbst nicht bewußt, ganz Ohr, Auge und Gedanke, kam sie aus der Höhle, stand am Hang und starrte ihn an.
Ihre Häßlichkeit, von der man ihr nie erzählt hatte, war so furchterregend, daß die jungen Reiter vor Entsetzen zurückwichen. Aber alsbald sah der schöne junge Mann, der ein König war, und eines Königs Sohn, daß sie, obwohl abscheulich und verkrüppelt, doch nur menschlich war. Er hielt an und lachte wieder.
»Götter der Oberen Welten beschützt uns!« rief er aus, »was für eine Erscheinung ist das?«
Dann, als er ihre großen Augen auf sich geheftet sah, und ihm schließlich unbehaglich wurde, fragte er: »Was starrst du mich so an, du dummes Monster?«
»Dich«, sagte sie, »weil du so schön bist.«
Sie sprach ohne einen Anflug von Entschuldigung oder Verlegenheit, in ihrer ungezwungenen, sanften Art. Aber einer von des Königs Kumpanen rief: »Trau ihr nicht! Sie will dich verderben, um dich ebenso gräßlich werden zu lassen wie sie selbst. Sicherlich ist sie eine Dämonin und hat einen bösen Blick. Ihre Arme sind krumm wie verwachsene Äste.«
Darauf nahm der König seine Peitsche und schlug ihr damit über Wange und Hals. Zoraschads Tochter fiel wortlos zu Boden.
»Eine Narbe mehr macht keinen Unterschied in dem Gesicht«, sagte der König zu ihr. »Geh in Zukunft maskiert, sonst wird bei deinem Anblick der Wein in den Schläuchen und die Milch in der Kuh sauer, und jeder Spiegel im Land wird zerbrechen.«
Sie hatte schon immer schnell gelernt; auch diesmal lernte sie schnell.
Der König ritt mit seinen Freunden in den Wald, um mit Pfeil und Bogen Wild zu jagen, und Zoraschads Tochter lag, wo sie gefallen war. Der Schmerz von der Peitsche brannte noch auf ihrer Wange und der Schmerz jener anderen Peitsche, die schlimmer war als die erste, die Peitsche seiner grausamen Zunge, verbrannte ihr das Herz.
So fand sie der Priester, als er in der Abenddämmerung mit seiner Lampe zurückkam, die von Leuchtkäfern umworben wurde.
Er sah, daß ein großes Unglück über sie hereingebrochen war; zweifellos erriet er durchaus, welcher Natur es war. Es war reinem Glück zuzuschreiben, daß er sie so lange vor sich selbst beschützt hatte. Zudem war er nun alt und konnte sie nicht ewig schützen. Er stellte keine Fragen, sondern streichelte ihr Haar für eine Weile und ging dann hinein und machte Feuer. Bald darauf folgte sie ihm und hielt ihm ihr schreckliches Gesicht entgegen.
»Warum«, sagte sie sanft, »hast du mir nie erzählt, was ich bin?«
»Du bist du«, sagte er. »Was brauchst du mehr zu wissen?«
»Nein, ich bin nicht ich, denn ich habe mich immer für das gleiche gehalten wie den Rest der Menschheit. Nun erfahre ich, daß ich ein Monster bin, mit einer Erscheinung zum Lachen und Fürchten und verrenkten Gliedern. Ein Mann kam heute und erzählte mir das, und als er gegangen war, schaute ich mich zum ersten Mal an, und ich ging zum Teich und wartete darauf, daß sich das Kräuseln legte, und auf diese Weise sah ich alles, was er mir gesagt hatte, und noch Schlimmeres. Als du mich nach meiner Geburt gefunden hast, warum hast du mich da nicht getötet? Warum ließest du mich all dies erleiden?«
»Es war nicht meine Wahl«, sagte der Priester, »sondern deine. Wenn du es nicht ertragen kannst, zu leben, wie du bist, so weißt du genug, um dir einen Trank zu bereiten, der all dein Leid beenden wird, und ich werde dich nicht davon abhalten, obwohl ich darüber sehr traurig wäre.«
Bei diesen Worten weinte das Mädchen, denn es liebte das Leben wie die meisten lebenden Geschöpfe dies tun, die ein wenig Freiheit und Glück in der Welt gekannt hatten.
Der Priester tröstete sie und sagte: »Setz dich hierher, und ich werde dir von dir selbst erzählen. Du bist nicht vollständig, denn du hast keine Vergangenheit, keinen Grund, der deine Last und dein Elend
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