Herr der Nacht
anderen entgegengesetzten Werten, zu einem sich ergänzenden, gemeinsamen Ganzen beitragen möge, denn, obwohl sie so sehr auseinandergingen, liebten sie einander sehr. Und in ihre gemeinsame Obhut hatte er auch einen erstaunlichen Schatz von Diamanten gegeben, die die Quelle seines Ruhmes und Reichtums gewesen waren; jedem die Hälfte des Schatzes.
Diese Diamanten. Sie waren überall im Palast offen sichtbar: auf den Griffen von Truhen und Türen, eingelegt in das Mosaikpflaster des Bodens. Die Dachgesimse waren mit Diamanten besetzt und die Augen der zwanzig Bernsteinlöwen, welche die Treppen zwischen den Zedern erklommen, und Diamanten, so klein wie Erbsen, glitzerten in den Springbrunnen, heller als das Wasser.
Es war wahrlich ein merkwürdiger Anblick, wenn man von der öden Wüste an den glitzernden Fluß kam und, zuerst nur als Spiegelung, hinter dem Ufer ein ebenso glitzerndes Haus aufsteigen sah, das vor Gold und unschätzbaren Juwelen nur so funkelte, und dahinter die Nacht, während die Front der sinkenden Sonne zugewandt war.
Eine Versuchung für Räuber, sollte man annehmen, solch ein Haus inmitten der Wildnis. Nichts dergleichen. An den Diamanten, die für ihre makellose Schönheit berühmt waren, haftete ein Fluch. Wer immer sie stehlen sollte, würde sterben. So einfach war das. Der Dieb würde entdecken, daß der Edelstein seine Tasche, seinen Beutel, seine Schmuckkassette, seine Hand verbrannte. Die feinen, weißen Dolchspitzen seiner Strahlen würden sich in die dunkle Farbe alten Bluts verwandeln. In der Nacht würde der Dieb würgende Finger an seiner Kehle, das Zwicken von Gift in seinem Bauch, Stiche wie von einer Messerklinge in seinem Herzen spüren. Er würde mit einem blauen Gesicht und großer Reue sterben. So ging die Geschichte. Einige wenige hatten sie nicht geglaubt, hatten den Versuch gewagt, sich gewünscht, es ungesehen machen zu können, und wurden begraben. Nur als echtes Geschenk konnte man die Diamanten erhalten und sich ihrer erfreuen.
Jurim hatte manchmal an das Diamantengeschenk gedacht, mit dem er seine Braut überhäufen würde, wenn er eine fände. Es hatte viele schöne Mädchen gegeben, runde Brüste, Antilopenaugen, schwere seidene Haarflechten; aber zur Gemahlin wollte er eine nehmen, die im Vergleich zu diesen Lilien am Wegesrand eine Orchidee war. Er hatte einen Namen flüstern hören; er hatte nicht gewagt, zu lange daran zu denken. Sie war eine Königin, Herrscherin über zwanzig Länder, lieblicher als die Lieblichkeit, die ihre Straßen mit den gebrochenen Herzen und Knochen von Männern pflasterte: Zorayas, die, so sagten sie, einem Dämonen in einem Sternenpavillon beigelegen hatte. Zorayas, die nicht so schändlich sein konnte, wie die Menschen behaupteten, denn der Menschen Bilder von Frauen enthielten immer zuviel von einer Sache, zuwenig von einer anderen. Jurim konnte als bloßer Prinz eines Wüstenlandsitzes nicht nach einer Königin trachten, aber an sie zu denken bereitete ihm Vergnügen und einen angenehmen Schmerz, wie die am Morgen vergessenen Träume, die dennoch ihre Schatten im Gehirn zurücklassen.
Die Sonne war fast untergegangen: ein rosa Schimmer am Rande einer blauen Nacht. Dann schien sie wieder aufzugehen.
»Schau«, sagte Jurim zu seinem Bruder Mirrasch, »entweder der Tag kehrt wieder, oder es sind die Lichter einer Karawane.«
»Dann muß es eine Karawane sein, die den Weg verfehlt hat«, sagte Mirrasch.
Schon bald hörten sie die Musik der Silberglocken, sahen die befransten, hin- und herschwingenden Baldachine, die von blumengeschmückten Tieren gezogenen Streitwagen, die im Staub glühenden warmen Lampen, und sie rochen den aufsteigenden Duft von Weihrauch und Jasmin.
»Es gleicht mehr einem Brautzug als einer Karawane«, sagte Jurim verwundert, und sein Herz schlug schnell, da er an seinen Traum dachte.
Bald darauf erreichte die ungewöhnliche Karawane das Tor. Die Diener und Wachen schienen geblendet vor Staunen. Ein Mann kam in den Turm gerannt, verbeugte sich tief und rief:
»Was für eine merkwürdige Sache, meine Gebieter. Es ist eine Dame aus einer weitentfernten Stadt. Ihre Begleitung hat den Weg verfehlt und bittet um Unterkunft bis zum Morgen.«
Jurim schwieg, aber Mirrasch runzelte die Stirn.
»Wer ist sie, diese Dame aus der Wüste?«
»Sie sähe es lieber, wenn ihr nicht nach ihrem Namen fragtet«, sagte der Diener.
»Und hast du ihr Gesicht gesehen?«
»Nein, Herr. Sie trägt einen milchweißen
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