Herr der Nacht
Gesicht in ihrem Haar.
Sie zog ihn herab. Er tauchte atemlos in ihre reißende Flut, sank in die tiefe Meereshöhle ihrer Lenden. Aber die Lockung fand kein Ende, die Höhle keinen Grund. Die Flut spülte ihn wie Strandgut zurück an Zorayas’ Mund.
Mirrasch hatte inzwischen nach ihm gesucht und entdeckt, daß er verschwunden war.
Um Schlag Mitternacht ging Mirrasch hinunter und lauschte an der Zimmertür der Fremden. Und da hörte er die flehende und versprechende Stimme Jurims. Und ebenso oft das Flüstern einer anderen Stimme, und dann, zuletzt, stöhnte Jurim vor Wonne und konnte ein Weinen nicht zurückhalten wie das einer Frau.
Mirrasch wartete im Schatten. Nach einer Weile öffnete sich die Zimmertür und Jurim und Zorayas kamen leise heraus wie ein Liebespaar. Das Gesicht Jurims war weiß, und seine Augen schwammen in blauen Höhlen. Aber Mirrasch wandte schnell seine Augen ab, auf daß er die erschreckende Schönheit im Gesicht der Frau nicht wahrnehme.
Sie gingen in den unbeleuchteten Räumen umher, als ob es ein Markt wäre, und Zorayas suchte sich aus, was sie haben wollte, Diamanten, so groß wie Tassen, und kleine, facettierte Diamanten, die sogar im Schatten leuchteten, und Jurim riß oder grub sie mit bloßen Händen aus ihren Fassungen und warf sie in ihr Hemd, das sie wie eine Schürze aufhielt, und sie lachten wie in kindischem Spiele. Schließlich erreichten sie einen Raum, in dem die Diamanten so dicht wie Bienen aufgehäuft lagen.
Mirrasch stand vor der Tür.
»Bruder«, rief er, »vergiß nicht! Der Schatz gehört dir nur zur Hälfte. Du kannst meinen Teil nicht ohne meine Zustimmung nehmen, und deine Schatzkammer ist beinahe leer.«
Jurim schreckte auf wie jemand, der aus einem Traum erwacht.
Zorayas rief mit scharfer Stimme: »Wer ist das, der da an der Schwelle kratzt? Ist es ein Hund oder eine Katze, die nicht hereinzukommen wagen? Sollte es ein Mensch sein, so laß ihn die Furcht beiseiteschieben. Ich bin nur eine Frau und werde ihm kein Leid antun.«
Aber Mirrasch kannte die Gefahr zu gut und blieb draußen.
»Eure Vergebung, werte Dame, aber ich kann nicht bleiben. Ich versuche nur, meinen Bruder daran zu erinnern, daß jeder Edelstein, den er Euch gibt, und der nicht sein eigen ist, den Fluch ebenso gewiß auf Euch laden wird, als ob Ihr ihn gestohlen hättet. Und nun, gute Nacht.«
»Das sind vernünftige Worte«, sagte Zorayas, doch ihre Stimme war kalt. »Bitte, nimm es genau, Jurim. Ich mag diesen Diamantenfluch nicht. Gib mir nichts, was nicht dein ist.«
Mirrasch ging zu der großen Bibliothek und brütete über Zauberbüchern und alten Schriften, ohne Erfolg. Er hörte Zorayas’ Lachen wie helles Vogelgezwitscher im Palast. Und gegen Morgen noch einen jener verzweifelten Schreie der Sinnenlust, der sein Herz mit schmerzhaftem Grauen erfüllte.
*
Die Morgendämmerung stieg von der Wüste herauf und verwandelte den Fluß in Wein.
Zorayas stand auf einem Balkon und rief einen Schatten aus der Luft herbei, der ihren Diamantenschatz einsammelte und in einem Feuerstrahl davontrug.
»Deine Geschenke werden bald sicher in Zojad sein, und ich muß ihnen sofort folgen«, sagte Zorayas zu Jurim und strich über sein Haar. »Gib mir auch noch eine Locke von diesem Gold zum Andenken. Ich möchte dich nicht zu schnell vergessen.«
»Und ich kann es nicht ertragen, wenn du mich vergißt«, sagte Jurim. »Bleib bei mir! Nur für einen Tag, wenn schon nicht länger. Nur einen Tag! Was ist ein Tag für dich, der mir soviel bedeutet? Ein Tag und eine Nacht!« Und er umarmte sie.
»Ah, nein«, sagte Zorayas, »ich muß in meine Stadt zurückkehren. Ich fürchte, ich habe dich schon zu lange belästigt.«
»Nein, nein …«, rief Jurim und hielt sie mit einem qualvollen Blick fest.
»Ja, und noch mal ja«, sagte Zorayas. »Außerdem bin ich nicht willkommen hier. Dein Bruder ist wütend und verachtet mich. Er verbietet mir den Zugang zu seinem Teil der Diamanten, und deine sind alle weg.«
»Ich werde sie ihm abbitten. Er wird sie mir nicht verweigern.«
»So geh und bitte ihn darum, mein kraftvoller goldener Hirsch. Aber spute dich.«
Jurim rannte in Mirraschs Zimmer und warf sich vor ihm auf die Knie: »Leihe mir einen Teil deines Juwelenschatzes, mein Bruder, oder sie wird mich verlassen.«
Ein Ausdruck von Ekel und Widerwillen überzog Mirraschs Gesicht, aber er unterdrückte ihn. »Sie wird dich auf jeden Fall verlassen. Laß sie gehen und danke den Göttern für ihre
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