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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Gazeschleier, der bis auf die Knie fällt, aber ihr Gewand ist mit Lapislazuli und Gold gesäumt, und ihre Hände sind mit Smaragden bestückt, und sie spricht wie eine hohe Dame, als ob sie Silber im Mund hätte. Sie ist wahrlich weder eine Räuberin noch eine liederliche Person.«
    »Ich glaube, ich errate, wer sie ist«, sagte Mirrasch. »Ich erwarte sie schon seit einiger Zeit. Ich wünschte, wir könnten sie abweisen, aber sie ist arglistig und eine Zauberin. Nein, laß sie ein! Gib ihr königliche Gemächer und erlesene Speisen, aber wenn dir dein Leben lieb ist, meide ihre Augen. Was meinen Bruder und mich angeht, so sind wir in Geschäften unterwegs, verstehst du, und können die Dame nicht willkommen heißen.«
    Der Diener ging in schierer Angst.
    Jurim sagte: »Verleugne dich selbst, wenn du willst, mein Bruder, aber nicht mich. Mich fesselt ihr Schleier. Was kann sie nur verbergen? Vielleicht ist sie häßlich und verdient unser Mitgefühl.«
    »Einst war sie häßlich, wenn die Legende wahr ist«, antwortete Mirrasch. »Nun können wenige sie ansehen, ohne ihren Verstand zu verlieren. Sie ist Zorayas, die Hexenkönigin von Zojad, die Geliebte von Dämonen und eine Plage für die Menschen. Zweifellos hat auch sie von den Diamanten gehört.«
    »Zorayas«, murmelte Jurim und wurde bleich.
    Er wußte, daß es zwecklos war, weiter zu disputieren, aber im lockeren Boden seines romantischen Gemüts konnte seines Bruders Warnung keine Wurzel fassen. Zorayas und der Traum waren schon in voller Blüte. In Jurims Leben hatte es bisher kein großes Unglück gegeben, kein unheilvolles Ereignis, das ihm die Natur des Bösen offenbart hätte und ihm hätte zeigen können, daß Mirrasch weiser war als er.
    Die Lichter und Stimmen der Begleiter ergossen sich in den Palast. In einem Raum, der mit diamantbesetzter Seide ausgeschlagen war, begann eine Harfe eine wehmütige Weise zu spielen. Dort saß eine verschleierte Frau, ganz in Weiß, und spielte mit einem rosigen Granatapfel und einem goldenen Messer.
    Jurim betrat den Raum, verbeugte sich tief und schickte die Diener hinaus. Er roch den Duft von Sandelholz, Jasmin und Moschus. Er zitterte, erklärte, wer er war, versuchte, das Böse zu durchschauen. Die Fremde lachte. Ein weißer Arm erschien, dessen Fleisch und Knochen von einer Haut aus Samt umhüllt zu sein schienen. Ein Klingeln ertönte von einem goldenen Armring, als er an einen anderen aus Jade stieß. Darüber wölbte sich eine weiße Schulter, glatt und saftig wie eine Frucht, deren Blässe durch eine einzelne Schlange dunklen, kupferfarbenen Haars betont wurde, das vor- und zurückschwang und bisweilen wieder unter dem Schleier verschwand.
    »Komm und setz dich zu mir, Prinz, mein Gebieter«, sagte die Frau. »Würdest du es gern sehen, daß ich meinen Schleier ablege? Ich werde es tun, wenn du es wünschst.«
    Jurim setzte sich zu ihr und bat sie, es zu tun, und die Frau streifte den Schleier wie Rauch von ihrem Gesicht und Körper.
    Ein Anblick ergoß sich ätzend auf Jurim wie ein Blitz, der in eine Wolke fährt. Das Blut wich aus seinem Herzen und ließ ihn halbtot und kaum bei Bewußtsein zurück. Ihre Schönheit war wie der Tod. Sie fraß sein Inneres und füllte seine leere Hülle mit sich. Er konnte an nichts anderes denken, nichts anderes sehen als ihre Schönheit. Sie berührte seine Lippen mit den ihren. Er wollte sie umfangen, doch sie schob seine Hände sacht beiseite, und er konnte sich nicht dagegen wehren.
    »Ich bin Zorayas«, sagte sie, »und du bist sehr schön. Aber wenn wir Freunde werden sollen, mußt du mir etwas schenken.«
    »Alles, was ich besitze, ist dein«, sagte er.
    »Die Diamanten in diesem Zimmer«, sagte sie. »Ich habe sie gezählt, es sind fünfzig. Gib mir die.«
    Jurim rannte zu den Wänden. Er riß die Diamanten von der Seide und häufte sie in ihren Schoß. Sie zog seinen Kopf an ihre Brüste und streichelte ihn, und dann küßte sie seine brennende Stirn und seufzte: »Wie ich dein Haar liebe, das dem Gold gleicht, und deinen Körper, der stark ist wie der eines Hirsches. Wie ungeduldig du bist; doch zuvor: willst du mir die Diamanten geben, die wie Trauben von der Saaldecke hängen?«
    Jurim rannte in den Saal. Er war blind und taub für alles außer ihr, konnte nur ihren Duft riechen, nur ihre kühle, glatte, runde Schmiegsamkeit fühlen. Er schnitt die Diamanten von der Decke und brachte sie ihr. Er ließ sie über sie rieseln wie einen Regen und vergrub sein

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