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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Diamanten aus dem Tor zum Grab und verbarg ihn in einem Stoffbeutel, den er sich um den Hals hängte.
5
Eine Liebesgeschichte
    Der Palast war ein wenig verfallen. Die Quelle des Reichtums dieses Hauses waren die Diamanten gewesen, und auch sein Glück hatte auf ihnen beruht. Nun raschelten die Blätter auf den Marmorfußböden, und Mäuse kamen aus den Kornkammern herauf, wo nur noch wenig Getreide geringerer Sorte lag. Die Landarbeiter hatten den grünen Saum des Flusses verlassen, da sie sich vor der kommenden Armut fürchteten, auf den Feldern schoß üppig das Unkraut, und die Winde zerstreuten die gute Ernte. Viele der kostbaren Dinge aus dem Palast waren verkauft worden, und die Ställe der edlen Pferde waren leer. So mußte Mirrasch zu Fuß zur Stadt wandern.
    Er nahm niemanden mit auf die lange, harte, bittere Reise. Er trank aus Felsenquellen und kleinen Bächen und aß die trockenen Früchte der Täler wie ein gewöhnlicher Vagabund. Kein Räuber belästigte ihn, er sah zu armselig aus, um ihnen die Mühe wert zu sein. Er trug nur zwei Dinge bei sich: den versteckten Edelstein und einen kleinen Salzkuchen.
    Nach einigen Tagen erreichte er Zojad und ging durch die breiten Straßen und zwischen den großen Statuen hindurch, bis er an den Palast Zorayas’ kam.
    Zuerst wollten sie ihn nicht einlassen, so abgerissen von der Reise, wie er aussah.
    »Wie kann ein gemeiner Bettler es wagen, den Hof unserer unvergleichlichen Königin zu belästigen?«
    »Sagt ihr nur«, sagte Mirrasch grimmig, »daß der Bruder Jurims aus dem Diamantenhaus hier ist.«
    Als diese Worte Zorayas überbracht wurden, ließ sie ihn sofort vor sich bringen. Nicht nur, um mit ihm über Diamanten zu reden, sondern auch, weil sie neugierig war, diesen Prinzen zu betrachten, der sich bis jetzt weise von ihr ferngehalten hatte.
    Sie trug ein Kleid, das von oben bis unten mit Diamanten besetzt war, und Diamanten hingen an ihren Ohren, aber die Kopfbedeckung auf ihrem Kupferhaar war aus dem Schädel eines Luchses angefertigt.
    »Komm näher und schau mich schließlich doch noch an«, sagte sie. Aber Mirrasch war nicht müßig gewesen, als er vor der Tür gewartet hatte. Er hatte den Salzkuchen in seine Augen gerieben, um sie durch das Brennen zum Weinen zu bringen, damit es ihm immer noch unmöglich sein sollte, sie zu sehen.
    Als sie dies bemerkte, war sie über seine Klugheit verärgert, denn sie liebte den Eindruck, den ihre Schönheit machte, und wäre sehr an ihrer Wirkung auf Mirrasch interessiert gewesen.
    »Was fehlt deinen Augen, Prinz?«
    »Tränen, die ich um meines Bruders willen vergieße, der deinetwegen beinahe tot ist.«
    »Ich brauche seinen Tod nicht. Ich bitte ihn nicht darum.«
    »Nein, Herrin, du bittest um Diamanten, von denen es, wie ich hörte, bereits große Mengen in deinen Sälen gab, bevor du unser Haus heimsuchtest.«
    »Das ist wahr«, sagte sie, »aber ich dulde nicht, daß mir irgend etwas versagt bleibt. Ich wollte eure Juwelen, weil sie für schwer zugänglich galten. Und übrigens sind sie die besten Edelsteine, die ich jemals erhalten habe, was ihre Klarheit und ihren Glanz anbetrifft. Und dazu noch ohne jeden Fluch, da jeder einzelne ein Geschenk war.«
    »Ein Geschenk von einem jungen Mann in der Blüte seiner Jugend, schön und stark, wie du wissen solltest. Er bot dir alles an, was er hatte: seinen Reichtum und sich selbst.«
    »Es war nicht genug. Und was sein Aussehen betrifft, so hat mir der Prinz der Dämonen persönlich die Ehre gegeben, nach dem alle Männer nur noch als Schiffe ohne Mast und Segel erscheinen. Aber du sprachst von Diamanten?«
    »Ja«, sagte Mirrasch, »ich habe hier einen. Siehst du«, und er zeigte ihr den blauen Edelstein vom Grab. »Dieser Stein gehört mir, und ich denke nicht, daß du ihn haben sollst, Herrin, denn du bist schon diamantenhart und durchsichtig genug.«
    »Na wenn schon, einer mehr oder weniger bedeutet gar nichts«, sagte Zorayas, »seien es Prinzen oder Juwelen.«
    »Wie ich mir dachte«, antwortete Mirrasch. »Es ist kein Mitgefühl in dir.«
    »Geh und bitte den Schnee und den Wind um Mitgefühl! Von mir wirst du keines erhalten. Geh hin und lösch die Sonne aus mit deinen Salzkuchentränen.«
    *
    Nachdem er der alraunenhaften Gegenwart Zorayas’ entronnen war, hielt Mirrasch seinen Bruder für so gut wie tot. Aber er suchte dennoch einen hochgeachteten Weisen in Zojad auf. Er erzählte ihm alles, und wie Jurim sein Leben aushauchen würde, wenn er von

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