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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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knurrte.
    Sie war betrogen worden.
    Dann, trotz ihrer Wut, blieb ihr Blick an etwas hängen. Was ihr ins Auge stach, war die reine, übernatürliche Lieblichkeit des Bildes im Spiegel, ihres eigenen. Zorayas zögerte. Ihre Hände erschlafften, und sie ließ ihren angehaltenen Atem in einem langsamen Seufzer entweichen. Wie schön, wie schön sie war. Sie hatte niemals zuvor ihre ganze Vollkommenheit vor Augen gehabt. Da waren die auf Hochglanz polierten Silberspiegel gewesen, die ihr genügend gezeigt hatten, um darüber zu staunen, da waren die Kristallbecken, über die sie sich beugte, um einen Blick auf ihr herrliches Gesicht zwischen den Goldbinsen und den Alabasterblumen zu werfen, wie sie sich einst, beim ersten Mal, hinübergelehnt hatte, um es zu betrachten. Und doch konnte keine dieser Spiegelungen sich mit dieser vergleichen: nicht eine hatte ihr so viel gezeigt. Sie selbst als Ganzes, in sichtbare Musik gekleidet, ein Bild aus Flamme und Eis, Metall und Seide.
    Zorayas lachte, streckte sich vor, ihr Ärger war vergessen. Kein Spiegel war auch nur annähernd so klar und genau gewesen. Augen lachten ihr entgegen wie dunkle Blüten gegen einen Sonnenaufgang, ein Mund leuchtete wie eine Rose. Ihr Körper: eine Orchidee auf seinem schlanken Doppelstengel, die Höhlungen mit einem rötlichen Schimmer wie von Kerzenschein, die bleistiftstrichdünne Linie zwischen Gliedern und Rumpf, die runden Bürstenstriche des Beckens, der Fuchs, der sich in ihre Leiste kauerte, und darüber die weiße Unschuld der Brüste mit ihren Zwillingszitadellen des Wissens.
    Ah, das Geschenk Asrharns, des Schönen, dieses Fest der Schönheit. Zorayas schien den ausgestreckten Armen des Geschöpfs vor ihr entgegenzufallen, das sie schweigend heranwinkte und willkommen hieß. Ihre Handflächen berührten die Handflächen im Spiegel, ihr Bauch verschmolz mit dem weißen Becken, ihre Brüste flossen zu den Spiegelbrüsten: eine Begegnung von Tauben. Sie drückte ihre Lippen auf das Glas und fühlte für einen Augenblick ein warmes, pulsierendes Gewebe, das sich gegen ihren Körper preßte, einen Mund, der sich hungrig dem ihren anbot.
    Mit einem Aufschrei warf Zorayas sich zurück.
    Endgültige Wahrheit? Vielleicht hatte sie sie entdeckt: Daß sie sich selbst liebte, wenn schon sonst niemanden. Und dann nahm sie eine neue Sache wahr. Der Spiegel, der sie so ausgezeichnet wiedergab, spiegelte nichts anderes aus dem Zimmer wider, keinen Lichtstrahl, keinen Schatten, kein Wandgehänge, weder die Symbole auf dem Boden noch die rauchumkränzten Siegel an den Wänden. Der Spiegel zeigte nur Zorayas. Nur sie.
    Zorayas stieß an das blaue Metallgehäuse, und es fiel um. Sie hob ihren Mantel auf und floh aus dem Kupferturm.
    *
    Drei Tage und nahezu drei Nächte vergingen, bevor Zorayas in den Turm zurückkehrte. Während dieser drei Tage und Nächte tat sie viele der Dinge, die ihr zur Gewohnheit geworden waren. Sie ritt aus mit ihren Jagdhunden – sie jagte lieber Menschen als wilde Tiere, jene Sklaven, die töricht genug waren, sie zu beleidigen – sie ging in ihren Gärten und Lusträumen spazieren, wobei sie bisweilen anhielt, um über ein juwelengeschmücktes Buch oder Handgelenk zu streichen. Sie rief die Gelehrten und Astrologen Zojads zusammen und disputierte und debattierte mit ihnen. Sie ließ sich von Schauspielern ein Stück aufführen, und den einen, der sie amüsierte, nahm sie mit in ihr Schlafgemach, und einen anderen, den sie nicht mochte, ließ sie an seinen Ohren und seiner Zunge an einem Dachbalken aufhängen.
    Sie war grausam und luxuriös geworden. Not hatte sie gelehrt, und ihre Liebelei mit einem Dämonen hatte für den Rest gesorgt.
    Sie kaufte achtzig Flamingos, um ihre Gartenteiche damit auszustatten. Sie ließ ein Mahl bereiten, bei dem jeder Gang eine andere Farbe hatte: das rote Fleisch von gebratenen Krabben und rosenfarbenen Fisch mit rotem Wein in Rubinpokalen, weißes Fleisch mit Mandeln und Weißwein in Porzellanbechern, grüne Kuchen aus Angelika, Trauben, kandierte Gurken und grüne Sorbets in Smaragdfingerhüten. Und einen Gang in Blau für ihre Feinde, bestehend aus giftigen Zyanwaffeln und unverdünntem Indigo aus Trinkgefäßen in Form von saphirnen Totenschädeln.
    Aber die ganze Zeit über, während sie sich diesen üblen und exotischen Beschäftigungen hingab, dachte sie an den geschlossenen Spiegel im Turm. Die Erinnerung flog durch ihr Gehirn wie ein Vogel, kroch hinein und heraus wie eine

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