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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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war, das ihr völlig glich, so sollte auch Zorayas auf ein solches stoßen, diesmal in einem Spiegel. Und der Spiegel sollte nicht von der Art der Sterblichen sein. Der Spiegel würde Leben aus demjenigen saugen, der hineinblickte, der Spiegel würde auf seine Art leben und würde sein Gegenüber begehren, lieben, sich nach ihm sehnen, anflehen und schließlich seines Lebens berauben.
    In der Nacht, als Zorayas zu ihm gekommen war, hatte er ihr Verhalten vorausgesehen und sie dadurch überlistet, aber nun war er nicht sicher, ob er ihre Gedanken erraten konnte. Er wußte nicht, wie lange er warten mußte. Zorayas hatte einen starken Willen und große Macht. Vielleicht konnte sie dem Zauber des Spiegels widerstehen.
    Der Palast in der Wüste geriet in Verfall. Der schimmernde Fluß war mit Unkraut verstopft und schimmerte nicht mehr.
    Vielleicht würde Zorayas ihren Zorn am Geber des Geschenkes auslassen …
    Aber Zorayas hatte Mirrasch vergessen. Sie hatte alles vergessen außer einer einzigen Sache. Ihre Handlungen waren zu denen einer Marionette geworden, doch sie unternahm viel. Sie ritt an der Spitze ihrer Armeen und eroberte weitere fünf Länder. Sie ließ sich ungeheure Burgen, Schlösser und Statuen errichten. Sie wandte sich von menschlichen Liebhabern ab und legte sich zu wilden Tieren. Für den dritten Teil eines Jahres war ein Löwe ihr Gebieter: seine Mähne war mit Juwelen besetzt; wenn er sie bestieg, sah sie in seinen Augen ihr Spiegelbild.
    Eines Nachts wünschte sie, daß Asrharn zu ihr käme. Sie verbrannte seltene Duftkräuter und sprach bestimmte Worte. Sie wagte es nicht mehr, ihn zu rufen, sie konnte nur schmeicheln. Vielleicht wäre er gekommen, der Prinz der Dämonen, wenn er ihres Flehens gewahr geworden wäre. Aber er hatte sich von ihr ab- und anderen Dingen zugewandt, vielleicht nur für ein paar Tage, ein paar Monate der Unterweltzeit – die Lebensspanne eines Sterblichen – und wenn er zurückblickte, würde sie für immer gegangen sein.
    Die Zeit zehrte Zorayas aus. Obwohl sie noch immer das Gesicht und den Körper ihrer Jugend hatte, fühlte sie sich als alte Frau, erschöpft und der Welt überdrüssig. Es schien, als gäbe es nichts, was sie nicht tun könnte, und nichts, was sie nicht tatsächlich schon getan hätte. Kein Feind konnte ihr widerstehen, kein Liebhaber sie abweisen, kein Königreich sie zu Fall bringen. Der unaufhörliche Erfolg zwang sie in die Knie. Nun verlangte die kleine Stimme in ihr nicht mehr nach Siegen, um ihre Verletzungen zu heilen; sie murmelte: ›Was war all diese Mühe wert, die nicht vermocht hat, mich zu befreien?‹
    Es ermangelte ihr an Liebe zum Leben, sie hatte niemals wirklich welche besessen. Tatsächlich wäre sie mit weniger glücklicher gewesen: Streben und Trauer hatten sie stark gemacht, während die Macht sie bloß übersättigt hatte.
    Die letzten Funken ihrer Entschlossenheit, zu überleben, erstarben in orgiastischen Banketten, in Verrücktheiten ihrer Zauberkunst, die den Nachthimmel grün oder die blauen Hügel rot färbten und Affenschwänze an Menschenrümpfen wachsen ließen, in fremdartigen Ausflügen über Land in einem Schiff auf Rädern oder über das Meer in einem Streitwagen mit großen Segeln, der von Delphinen gezogen wurde.
    Zuletzt kam die endgültige Langeweile über sie.
    Sie lag da wie jemand, der schon tot ist. Sieben Tage lang lag sie auf ihrer Ruhestatt. Dann belebte eine Erinnerung sie neu.
    Zorayas rief drei riesige Männer, ihre Sklaven. Sie führte sie zu dem Kupferturm und befahl ihnen, die geschlossene Tür aufzubrechen.
    Es dauerte nicht lange. Sie hatte es immer gewußt. Der Akt, die Schlüssel in den Brunnen zu werfen, war eine bloße Geste gewesen.
    Als die Tür offen war, schickte sie die Sklaven fort und ging allein hinauf in den Raum.
    Der Spiegel öffnete sich. Es konnte keinen Zweifel mehr geben. Das Bildnis stand nackt und bewegungslos in sein dunkles, rotes Haar gehüllt. Die Augen des Bildes waren geschlossen. Es gab kein Zeichen, keine Bewegung von sich. Es sah aus wie eine wunderschöne Ikone, als ob es tot wäre.
    »Ich bin da«, sagte Zorayas. »Du bist alles, wonach ich mich sehne und was ich mir wünsche.«
    Sie öffnete ihren Mantel und trat daraus hervor und war jetzt nackt wie das Bild.
    Die Lider des Bildnisses öffneten sich langsam. Eine Morgendämmerung erhellte das zauberhafte Gesicht. Es hob die Arme, Zorayas’ Arme: »So komm denn zu mir!«
    Diesmal rannte sie nicht, noch

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