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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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tropften – er ließ sich nicht im geringsten durch Erzählungen von Heulen und Auffressen einschüchtern. Selbst die Diener des Zauberers lachten.
    »Dies ist der Große Kaschak«, sagten sie. »Angenommen, dort ist irgend so ein Monster unter der Straße verborgen. Angenommen, es kommt hervor. Dann kannst du annehmen, daß Kaschak es auffressen wird!«
    Also machte sich der Zauberer auf den Weg. Er beabsichtigte, die Stadt und ihren Seehafen vor Sonnenuntergang zu erreichen und hatte den Pfad wegen seiner Schnelligkeit gewählt. Er war in dies Land gekommen, um ein Heilwunder an dem ältesten Sohn des Königs zu vollbringen, und nun, nachdem das Wunder vollbracht war, wünschte er das Schiff für die Heimreise zu erreichen.
    Der alte Weg war staubig, und hier und da waren Steinbrocken heruntergefallen. Der Zauberer räumte die Steine mit einem oder zwei gewichtigen Worten aus dem Weg, die bewirkten, daß sie sich in Rauch auflösten. Eine Stunde nach Mittag kam die Reisegesellschaft des Zauberers an einen trockenen Brunnen.
    »Es ist Zeit, die Pferde zu tränken«, sagte Kaschak. Er schlug an die Seite des Hügels, worauf eine Wasserfontäne daraus hervorbrach und einen Tümpel bildete, aus dem die Pferde trinken konnten. Da ertönte plötzlich aus der Brunnenöffnung ein klagendes Geheul.
    Die Diener des Zauberers zeigten keine Furcht, denn sie vertrauten seiner Macht. Kaschak selbst ging zu dem Brunnen und beugte sich darüber, um zu lauschen. Alsbald ertönte der furchtbare Lärm von neuem.
    »Ich glaube, ich würde diese Kreatur gerne sehen«, sagte Kaschak. Er verlangte eine Fackel, blies sie an, und sie brannte. Dann ließ er sie den halben Weg in den Brunnenschacht hinunter, wo sie in der Luft hängenblieb, während er selbst durch ein Zauberfernglas hinunterspähte, um zu sehen, was es zu sehen gab. »Aha«, sagte der Zauberer schließlich, »wie ich mir dachte. Ein Mensch, der von einem Dämonen mit Hilfe einer fabelhaften Methode in eine wunderliche Gestalt verwandelt wurde.« (Das Fernglas offenbarte diese Art von Erkenntnissen.)
    Kaschak schnalzte mit den Fingern, und Funken flogen daraus hervor. Die Funken versponnen sich zu einem Netz, das sich von selbst in den Brunnen hinabsenkte.
    Man hörte einen abscheulichen Lärm, ein Scharren von Hufen, das Knirschen von Zähnen, ein schlüpfriges Klatschen, ein geiferndes Bellen. Die Fackel kam aus der Brunnenöffnung geschwebt und erlosch. Als nächstes erschien das Funkennetz mit einer furchtbaren Bestie, die sich wand, hin und her rollte und ausschlug.
    Die vordere Hälfte des Biests war ein Eber, die hintere Hälfte der Schwanz einer riesigen Eidechse. Sein Kopf war der eines Wolfes.
    Es zappelte und bellte und heulte, verdrehte die Augen und knirschte mit seinem Wolfsgebiß. Es war ein Jahrhundert lang oder ein bißchen mehr durch die Felsspalten und Höhlen gekrochen, welche die Berge durchzogen. Es konnte nicht sterben, war für immer in der Hülle einer dämonischen Laune gefangen. Schläge oder der Sturz in die Schlucht hatten es nicht umzubringen vermocht, nur durchgeschüttelt; das brennende Stroh hatte es versengt, aber nicht getötet. Gewiß, es hatte seinen Anfang vergessen, daß es einst ein Mann gewesen war, schön, kräftig und jung, der sich an den Leib seiner geliebten Braut geschmiegt zum Schlummer gelegt hatte und in der höllischen Gestalt aufgewacht war, der der Drin auf Asrharns Geheiß verfertigt hatte. Bisunehs Geliebter, immer noch im Leid gefangen, während sie schon vor acht Jahrzehnten oder mehr zu Staub geworden war.
    Kaschak sah dies alles, oder zumindest genügend davon. Während die faulig stinkende Schreckensgestalt in dem Zaubernetz zappelte und stöhnte, sandte Kaschak seine Diener hierhin und dorthin, dieses Pulver und jene Kreide zu holen, dieses Amulett aus der Truhe zu nehmen und jenes zurückzulegen. Kaschak begann seinen Zauber in der Mitte des Nachmittags. Er war nicht abgeschlossen, bevor nicht die Sonne selbst müde geworden und auf ihr weit entferntes Bett aus blauen Hügeln versunken war. Das Wesen im Netz hatte viele Verwandlungen durchgemacht und hatte jämmerlich unter ihnen gelitten. Nun, als das rote Licht den Himmel verließ, ging eine wellenartige Bewegung über den Rücken der Bestie. Wie eine Schlange aus ihrer abgeworfenen Haut kriecht, so kroch nun etwas aus diesem runzligen, dreifältigen Fell.
    Es war ein Mann, der erschöpft zu Kaschaks Füßen niedersank. Ein Mann, von dessen jugendlicher

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