Herr der Nacht
aus weißer Jade. Um die Türen zu öffnen, mußte man notwendigerweise diese Hände ergreifen und herumdrehen. Qebba bemerkte, wie die vertrautesten Diener Kaschaks dies bei besonderen Gelegenheiten taten, wenn sie gerufen wurden, um bei einigen Experimenten zu helfen. Aber Qebba selbst war nicht befugt. Er dachte nicht daran, den Raum unaufgefordert zu betreten, denn dieser stand im Ruf, ein Ort voller Schrecken zu sein.
Qebbas Aufgaben waren merkwürdig: Beobachte einen großen Vogel am Mittagshimmel. Zähle, wie oft er das Haus des Zauberers umkreist, bevor er wegfliegt, und schreibe die Zahl auf Pergament. Geh zum zwölften Teich und pflücke eine Binse, zerstoße sie in einem Mörser, streiche die zerstampfte Masse an die Türpfosten des Hauses. Jeden zehnten Tag mußte Qebba auf das Dach klettern und das Glas polieren: es mußte sehr dick sein, denn es brach nicht unter seinen Füßen. Oder er führte die Löwen, die sich von Gras und gelben, wilden Trauben ernährten, in einen anderen Teil des Gartens.
Zwei Monate vergingen. Qebba war weder glücklich noch unglücklich. Er erfüllte seine Pflichten, aß sein Fleisch und Brot und schlief an dem ihm zugewiesenen Ort. Gelegentlich ließ er seinen Blick auf die schwarzen Lacktüren mit den weißen Händen fallen, dachte aber nicht daran, einzutreten, dachte nicht wirklich an irgend etwas. Selbst jetzt vergaß er sich manchmal noch, ließ seine Zunge heraushängen, versuchte seine hinteren Gliedmaßen hinter sich herzuziehen, wie er zu tun gezwungen gewesen war, als der Eidechsenschwanz noch an ihm haftete.
Eines Morgens rief ihn Kaschak zu sich und sagte:
»Geh zu den schwarzen Bäumen in der Allee, Qebba, und pflücke mir eine goldene Frucht.«
Qebba ging, um zu tun wie ihm geheißen, zögerte dann und sagte: »Aber Meister, du hast mir verboten, es zu tun.«
Darauf lachte Kaschak und ging fort. Er hatte Qebba auf die Probe gestellt, um zu sehen, ob er ihm noch immer trauen konnte. Am selben Nachmittag rief er Qebba wieder zu sich und sagte: »Hier ist ein goldenes Sieb. Geh zum zweiten Teich und hole mir Weinwasser darin.«
Diesmal widersprach Qebba nicht. Obwohl es ein Sieb war: wenn der Zauberer verlangte, daß es gefüllt wurde, so würde es sich füllen lassen. Und wirklich, als Qebba es in den Teich getaucht hatte, floß kein Wasser aus den Löchern. Er trug das Sieb zu Kaschak, und Kaschak lächelte und sagte: »Wie ich es mir dachte. Deine Jahre als verwunschene Bestie in der Knechtschaft der Dämonen haben in dir eine Begabung für Wundertätigkeit erzeugt. Komm nun, du sollst meinen Arbeitsraum betreten.« Es war eine Tatsache, daß Qebba unbekannte Kräfte besaß, wie der Zauberer von Anfang an vermutet hatte. All seine Aufgaben waren eine Probe gewesen. Der kreisende Vogel war für ein gewöhnliches menschliches Auge unsichtbar, die Zauberbinse hätte sich nicht von jedermann zerstampfen lassen. Unter dem Fuß eines anderen wäre das Glasdach beim ersten Schritt zersprungen, und nur wenige konnten die blauen und weißen Löwen hüten. Und was die letzte Probe anbelangte, wer außer ein mit Zauberkraft Begabter konnte Flüssigkeiten in einem Sieb transportieren?
Also betrat Qebba das Zimmer hinter den schwarzen Lacktüren.
Dort war ein Fenster, das nicht den dahinterliegenden Garten zeigte, sondern abwechselnd hundert verschiedene Orte überall in der Welt, je nachdem, welchen der Zauberer zu erscheinen beschwor. Der Raum war dunkel, doch man konnte alles darin sehen. Auf einem kupfernen Sockel stand der gebleichte Totenschädel eines uralten Magus, der auf Geheiß Kaschaks zu ihm sprach. In einem Kristallglas mit einem Deckel aus Achat befand sich eine winzige Frau von der Größe eines menschlichen Mittelfingers, und obwohl sie so winzig war, war sie sehr schön, und ihr Haar war wie ein rotbraunes Blatt um sie gehüllt. Wenn Kaschak an das Kristall klopfte, pflegte sie lüstern zu tanzen.
Zwischen diesen Wundern begann Qebba fremdartige Künste zu erlernen, und der Große Kaschak war sein Lehrer. Die Art und Weise der Lehre war bizarr und schloß Fasten, Feuer, Einsamkeit und Blut mit ein. Qebbas Verstand, der bei allem anderen langsam war, machte bei diesen Lektionen rasche Fortschritte. Und seine wachsenden Kräfte ließen Schauer durch ihn rieseln. Doch immer sah er den Zauberer als seinen Führer an, nannte ihn ›Meister‹, küßte seinen Rubinring und war ihm dankbar. Er war das Kind, Kaschak der Vater. Das gefiel Kaschak. Er sah
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