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Herr der Nacht

Herr der Nacht

Titel: Herr der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Erscheinung nichts übriggeblieben war, ohne jede Spur von gutem Aussehen oder Lebenskraft in ihm. Aber immer noch ein Mann.
    Er konnte sich nicht an seinen Namen erinnern, hatte ihn vergessen, wie er sein früheres Leben vergessen hatte. Er besaß eine vage Erinnerung daran, daß er betrogen worden war, daß man ihn ohne jede Vorwarnung, um sich darauf einzustellen, seiner Freude beraubt hatte. Seine Erinnerungsbilder bestanden bloß aus dunklen, tropfenden Felsgängen, widerhallenden Höhlen, in denen sich seine untermenschlichen Schreie brachen, schmutzigen Löchern, in denen er sich vor unsäglichen Schrecken versteckt hatte. Kaschak gab ihm zu essen und Wein aus einem gelben Jadekrug.
    »Du sollst mir zwei Jahre dienen, um für meine Mühe zu bezahlen. Ich werde dich Qebba nennen – den, von-dem-man-spricht – denn das warst du gewesen in diesen Gegenden.«
    Qebba hatte keine Einwände gegen die Anstellung als Diener oder den Namen. Sein Gesicht war das graue, knochige Gesicht eines Mannes, der an einem Hunger leidet, der niemals gestillt werden kann. Er gewann die menschliche Sprache nur langsam zurück. Er bestand darauf, auf dem Trittbrett von Kaschaks Wagen zu fahren. Manchmal vergaß er sich, und seine Zunge begann herauszuhängen und seine Augen rollten fürchterlich. Jene, die ihn erblickten, als der Wagen durch die Stadt fuhr, hielten ihn für einen Geisteskranken und wunderten sich darüber, zu welchem Zweck er den Großen Kaschak begleiten mochte.
    Es war spät, doch das Schiff hatte auf den Zauberer gewartet, da man wußte, wer er war. Am Kai machte Kaschak eine unverständliche Geste. Der feine Wagen schrumpfte zur Größe einer Walnuß zusammen; er steckte ihn in seine Tasche. Die sechs schwarzen Pferde, von denen Perlen tropften, verwandelten sich in sechs hübsche, schwarze Käfer mit weißen Punkten. Er verwahrte sie in einer bequemen Schachtel und betrat, flankiert von seinen Dienern und unter dem Applaus einer erstaunten und begeisterten Menge das Schiff, und Qebba mit ihm.
    Die See war ruhig, und sie hatten günstigen Rückenwind. Nach zwei Tagen kamen sie an eine Insel, einen gefährlichen Ort aus schwarzen Obsidianklippen, die sich anscheinend ohne Abwechslung oder Lücke bis in den Himmel erstreckten. Hier ließ man das Beiboot zu Wasser, und der Zauberer und seine Diener wurden an einen Kiesstrand gerudert. Dieser unheimliche Außenposten war nichts Geringeres als Kaschaks Heim. Das Schiff segelte davon wie eine scharlachrote Möwe. Kaschak schlug gegen die scheinbar undurchdringliche Klippenwand aus vulkanischem Obsidiangestein und eine riesige Tür, die vorher unsichtbar gewesen war, öffnete sich, um sie durchzulassen und fiel knirschend hinter ihnen zu. Hinter der Klippenwand war die Insel nicht kahl und öde, wie man erwartet hätte, sondern ein bezaubernder Garten wunderlicher Art.
    Rosenbäume wuchsen im Garten des Zauberers, die so groß waren wie Kiefern. Ihre Blüten waren von dem blassesten Grün und dem durchsichtigsten Purpurrot. Rosarote Weidenbäume standen neben den rosenfarbenen Teichen, deren Wasser nach Wein schmeckte. Auf dem blauen Rasen tummelten sich Löwen, sie hatten die Farbe von frischer Sahne und hyazinthfarbene Mähnen. Sie rannten zum Zauberer und leckten wie Hunde spielerisch seine Hände. Eulen mit runden Smaragdaugen sangen so zauberhaft wie junge Mädchen.
    Das Dach des Hauses war aus grünem Porzellan mit einem Dach aus vielfarbigem Glas, um das Licht hereinzulassen. Eine Allee mit schwarzen Bäumen, die Früchte aus purem Gold trugen, führte zum Eingang.
    Qebba starrte alles um sich her verwundert an und war verwirrt von dem Garten wie von allem, was ihm widerfahren war.
    »Ein Wort der Warnung«, sagte Kaschak. »In meinem Dienst wirst du notwendigerweise etwas Zauberei lernen. Versuche nicht, zuviel zu lernen oder das Gelernte sorglos anzuwenden. Vor allem pflücke niemals die goldenen Früchte dieser Bäume.«
    Das Haus des Zauberers war kein geringeres Wunder als der Garten. Verschiedenfarbige Lichtstrahlen vom Glasdach färbten die Räume und schienen auf viele Gegenstände aus kostbarem Metall. Eine riesige Wasseruhr aus Kupfer und Silber in der Form einer Galeone zeigte die Stunden an. Wenn die Abenddämmerung hereinbrach, entzündeten sich die Fackeln in geheimnisvoller Weise von selbst.
    In einem verborgenen Raum hinter zwei großen Lacktüren praktizierte der Zauberer seine Kunst. Die Griffe dieser Türen hatten die Form von zwei Händen

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