Herr der Träume
zurück. Wie ist es dir gegangen?«
»Danke, ziemlich gut. Wie war dein Urlaub?«
»Ich kann nicht klagen. Er war schon lange überfällig. Ich glaube, ich habe ihn verdient. Hör zu, ich habe einige Dinge mitgebracht, die ich dir zeigen will – die Winchester-Kathedrale zum Beispiel. Willst du diese Woche kommen? Ich kann mir jeden beliebigen Abend freihalten.«
Heute! Nein. Ich habe zu große Sehnsucht danach. Wenn er es merkt, so würde es einen Rückschlag bedeuten.
»Wie wäre es mit morgen abend?« fragte sie. »Oder übermorgen?«
»Sagen wir also morgen«, sagte er. »Treffen wir uns um sieben im P&S?«
»Ja, fein. Am selben Tisch?«
»Warum nicht? Ich werde ihn reservieren lassen.«
»Gut. Bis morgen also.«
»Auf Wiedersehen.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Da wirbelten plötzlich wieder Farben durch ihren Kopf, und sie sah Bäume – Eichen und Fichten, Pappeln und Ahorn –, groß und grün und braun und eisengrau; und sie sah Wolken wie Watteflocken an einem pastellfarbenen Himmel, und die brennende Sonne, und eine kleine Weide und einen tiefblauen Teich. Sie legte ihr zerrissenes Taschentuch zusammen und steckte es weg.
Sie drückte auf einen Knopf neben ihrem Arbeitstisch, und Musik erfüllte den Raum: Skrjabin. Dann betätigte sie einen anderen Knopf und spielte aufs neue das Band ab, das sie zuvor besprochen hatte, und hörte beidem zu.
Pierre roch an dem Essen. Der Krankenwärter trat von der Schüssel zurück, verließ den Raum und versperrte die Tür hinter sich. Ein enormer Salatkopf wartete auf dem Boden. Pierre näherte sich vorsichtig, packte eine Handvoll des Gemüses und würgte es hinunter.
Er hatte Angst.
Wenn nur der Stahl nicht länger immer wieder gegen den Stahl krachen würde, irgendwo in der dunklen Nacht ... wenn nur ...
Sigmund stand auf, gähnte und streckte sich. Dann schüttelte er sich. Sie würde bald heimkommen. Er wedelte langsam mit dem Schwanz und sah zur Uhr mit den erhabenen Ziffern hoch. Sein Zeitgefühl hatte ihn nicht getrogen, und er trottete zum Fernsehgerät hinüber. Er erhob sich auf die Hinterbeine, stützte sich mit einer Pfote auf den Tisch und schaltete mit der anderen den Apparat ein. Der Wetterbericht würde bald beginnen.
Der Abend war sternenklar und wirkte wie Sodawasser auf Eis. Render steuerte den S-7 in den kalten Sub-Subkeller und zwängte sich in seinen Parkplatz.
Die feuchte Kälte vom Betonboden nagte wie Ratten an ihnen. Render führte sie nach links, und ihr Atem wehte ihnen sichtbar voraus.
»Es ist ziemlich kalt«, stellte er fest.
Sie nickte und biß sich in die Lippe.
Im Aufzug seufzte er, öffnete den Schal und zündete sich eine Zigarette an.
»Gib mir bitte auch eine«, bat sie, als sie den Tabak roch.
Er tat es.
Als sie hochfuhren, lehnte Render sich gegen die Wand und blies eine Mischung von Rauch und kondensierter Feuchtigkeit aus.
»Ich habe in der Schweiz einen anderen mutierten Schäfer getroffen«, sagte er. »So groß wie Sigmund, aber ein Jagdhund.«
»Sigmund jagt auch gern«, sagte sie. »Zweimal im Jahr fahren wir in die North Woods, und ich lasse ihn frei. Manchmal ist er tagelang fort und nach seiner Rückkehr recht glücklich. Er erzählt nie, was er getan hat, ist aber nie hungrig. Als ich ihn damals erhielt, dachte ich, er würde Urlaub von den Menschen benötigen, um ausgeglichen zu bleiben. Ich glaube, ich hatte recht.«
Der Aufzug hielt an, die Tür ging auf, und sie betraten den Korridor. Render führte sie wieder.
In der Praxis stellte er den Thermostaten ein, und Warmluft strömte ins Zimmer. Im Behandlungszimmer hing er ihre Mäntel auf und holte das große Ei aus seinem Nest in der Wand. Er steckte das Kabel in einen Steckkontakt an der Wand und verwandelte seinen Tisch in ein Kontrollpult.
»Was glaubst du, wie lange es dauern wird?« fragte sie und ließ ihre Fingerspitzen über die glatten, kalten Kurven des Eies gleiten. »Die ganze Behandlung, meine ich, die gesamte Gewöhnung an das Sehen.«
Er dachte nach.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete er. »Wir haben einen guten Start hinter uns, aber es bleibt noch viel zu tun übrig. Ich glaube, in drei Monaten werde ich es abschätzen können.«
Sie nickte, trat an das Pult heran und strich über die Schaltknöpfe.
»Vorsicht, daß du keinen betätigst!«
»Das tue ich nicht. Wie lange werde ich brauchen, bis ich einen bedienen kann?«
»Drei Monate zum Lernen, sechs, bis du genügend damit vertraut bist, ihn
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