Herr der zwei Welten
einen brennenden Schmerz in ihrer Kehle. Am liebsten hätte sie geschrien, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Aber sie brachte keinen Ton heraus. Noch immer getraute sie sich nicht ihn anzusehen, aber sie registrierte, dass er eher den Eindruck eines Schlafenden erwecken wollte. Er hatte sich nicht, wie Gaston, auf den Rücken gelegt, sonder lag auf der Seite mit angezogenen Beinen. Eine Hand ruhte unter seinem Kopf. Er schloss seine Augen. Julie hatte sich, als Eugeñio sich hingelegt hatte, auf den Boden sinken lassen. Sie lehnte mit dem Rücken an der Wand und sah auf ihre Füße, wohin sie den Strahl der Lampe gelenkt hatte. Da hörte sie ein Geräusch und sah auf. Eugeñio hatte sich auf den Rücken gedreht, seine Hände waren über der Brust gekreuzt. Ein Toter! Die Angst kroch ihr in die Glieder. Julie hielt den Atem an. Erst als sie die Tränen, die nun doch rollten, heiß auf ihren Wangen spürte, gab sie ihren Lungen, was sie brauchten. Sie hatte ihren Blick wieder auf den Boden geheftet und weinte verzweifelt in sich hinein. Doch dann schluckte sie die Tränen hinunter und nahm allen Mut zusammen. Langsam stand sie auf und hob den Lichtstrahl noch langsam an. Ein paar Minuten blieb sie noch still stehen, ihre Augen auf Eugeñio gerichtet. Dann ging sie zu ihm. Schritt für Schritt, und jeder Schritt tat im Herzen weh. Vorsichtig hob sie die Taschenlampe noch ein wenig mehr, bis sie sein Gesicht erkennen konnte. Eine Weile betrachtete sie dieses Gesicht, das nun steif ohne Leben vor ihr lag. Dann hob sie langsam ihre Hand und berührte zaghaft seine Stirn. Erschrocken zuckte sie zurück. Seine Haut war kalt. Eiskalt … und wie Wachs! Eugeñio war tot! Dennoch … sie verspürte keine Angst mehr.
Sein Gesicht, es war zwar steif und kalt, aber dennoch lag es in seiner ganzen Schönheit nun vor ihr. Julie sah genauer hin. Dieses Gesicht, es war nicht eingefallen, nicht verkrampft und es hatte nicht den geringsten Makel. Julie ließ ihre Blicke nun ruhig über diese Züge wandern. Eugeñio wirkte doch, als wenn er nur schliefe. Julie merkte, dass sie schon wieder weinte. Sie konnte sein Gesicht kaum noch erkennen, da die Tränen ihren Blick verschleierten. Wieder versuchte sie tapfer zu sein. Aber dann fiel ihr auf, dass sie das nun nicht mehr sein musste. Hier war ja niemand mehr, der sie beim Weinen sehen konnte! Ihre Gedanken liefen langsame Wege, wie in Zeitlupe. Wie nur sollte ihre Zukunft aussehen? Zärtlich griff sie nach seinen starr gefalteten Händen. Die Lampe knipste sie aus. Sie brauchte ihn jetzt nicht mehr zu sehen; sein Bild war in ihren Gedanken! Sanft begann sie seine Hände zu streicheln. So langsam beruhigte sie sich richtig und nun begann sie auch nachzudenken. Eugeñios Angst war die, dass sie ihn nicht mehr lieben könnte, wenn sie ihn am Tage gesehen hätte, wenn er aussah, als wäre er tot. Doch sie wusste, mit einer Bestimmtheit, die ans Grenzenlose reichte, dass das niemals eintreten würde! Aber dennoch war Sorge in ihr. Ganz langsam war sie erwacht, hatte sich in ihre Eingeweide geschlichen. Als sich der erste Schrecken gelegt hatte und sie begonnen hatte, über sich und ihn nachzudenken, war auch diese Angst gekommen. Welche Art von Leben würden sie gemeinsam führen können? Sie selbst würde alt werden. Sie würde sterben müssen! Aber er würde auch in achtzig Jahren noch genau so aussehen, wie sie sich kennengelernt hatten. Wie konnte seine Liebe überstehen? Würde nicht er, in einigen Jahren, wenn sie alt und faltig wäre, seine Liebe zu ihr verlieren? Wäre sie dann nicht wieder allein? Mit dem Wissen, dass der Mann, den sie liebte, ewig leben würde!
Ihre einzige Chance wäre die, ihn zu überzeugen, dass er sie zu einem Vampir machte! Bei diesem Gedanken schauderte sie. Die Angst wurde nagend. Sie wollte niemandem jemals wehtun! Und doch.. sie wusste, als Vampir würde sie es müssen. Als Vampir würde sie töten müssen! Auf keinen Fall wollte sie so leben. Dennoch … Genau das wäre ihre einzige Chance diese Liebe zu schützen, zu erhalten! Sie starrte durch die Dunkelheit sein Gesicht an. Sie wusste, auch ohne dass sie jemals darüber gesprochen hätten, dass er sich gerade dagegen zu Wehr setzen würde. Er hatte nicht vor, sie zu einem Vampir zu machen. Aber sie wusste auch, dass sie um genau diesen Mann kämpfen würde! Sie würde alles wagen, nur um bei ihm sein zu können! Dagegen war sie machtlos. Schlagartig lachte sie auf. Sie musste an einen Film
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