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Herr des Lichts

Herr des Lichts

Titel: Herr des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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untergehen
    Samyutta-nikaya (II, 224)
     
     
    N ahe der Stadt Alundil lag ein dichtes Gehölz von blaurindigen Bäumen mit federngleichem Purpurlaub. Es war bekannt für seine Schönheit, und der Friede, den man in seinem Schatten fand, war der eines Tempels. Bis zu seiner Bekehrung hatte der Handelsherr Vasu den Hain besessen, dann hatte er ihn jenem Lehrer zum Geschenk gemacht, den man Mahasamatman, aber auch Tathagata und den Erleuchteten nannte. In diesem Gehölz nun lebte der Lehrer gemeinsam mit seinen Anhängern, und wenn sie des Mittags in die Stadt zogen, blieben ihre Bettlerschalen niemals leer.
    Stets hielt sich eine große Anzahl von Pilgern in der Nähe des Wäldchens auf. Gläubige, Neugierige und solche, die Raub im Sinn hatten, wanderten ständig in seinem Schatten. Sie kamen zu Pferde, sie kamen zu Fuß, sie kamen mit Booten.
    Alundil war keine sonderlich große Stadt. Sie hatte ihre strohgedeckten Hütten und ihre einstöckigen Holzhäuser; die Hauptstraße war ungepflastert und ausgefahren; es gab zwei große und eine Reihe von kleinen Basars; umgeben war die Stadt von weiten Kornfeldern, die den Vaisyas gehörten und von den Sudras bestellt wurden, Felder, die blaugrün dahinströmten, gekräuselt von den leichten Brisen; für die Reisenden, die sich ständig in der Stadt aufhielten, standen viele Herbergen bereit (obwohl keine davon so vorzüglich war wie die legendäre Herberge des Hawkana im fernen Mahartha); die Stadt hatte ihre Heiligen und ihre Märchenerzähler; und sie hatte ihren Tempel.
    Der Tempel war auf einem kleinen Hügel in der Nähe des Stadtzentrums gelegen. Vier gewaltige Tore durchbrachen seine vier Mauern. Beides, die Tore und die Wälle, waren über und über mit schmückenden Schnitzereien und Steinmetzarbeiten bedeckt, mit Bildern von Musikern und Tänzern, Kriegern und Dämonen, Göttern und Göttinnen, Tieren und Künstlern, Liebespaaren und Halbmenschen, Wächtern und Dewas. Die Tore führten in den ersten Hof, den nach innen zum zweiten Hof hin wiederum Mauern und Tore begrenzten. Der erste Hof beherbergte einen kleinen Basar, in dem Opfergaben für die Götter verkauft wurden. Außerdem waren hier zahllose kleine Altäre aufgestellt, die unbedeutenderen Gottheiten geweiht waren.
    Auf dem ersten Hof gab es bettelnde Bettler, meditierende Heilige, lachende Kinder, schwatzende Frauen, glimmende Räucherstäbchen, singende Vögel, gurgelnde Säuberungsbecken und summende Betautomaten. Keine Stunde des Tages, in der es hier einmal ruhig wurde.
    Dagegen war der innere Hof mit seinen wuchtigen Altären zur Ehre der Hauptgottheiten Mittelpunkt der religiösen Aktivität. Die Leute sangen oder riefen Gebete, murmelten Verse aus den Veden, standen, knieten oder lagen ausgestreckt vor enormen Steinbildern, die oft so überreich mit Blumen umwunden, mit rotem Kumkum-Brei bestrichen und mit Gaben überhäuft waren, daß man unmöglich sagen konnte, welche Gottheit dort in der Anbetung ihrer Anhänger buchstäblich versank. In festgesetzten Abständen wurden die Tempelhörner geblasen. Einen Augenblick lang lag dann ehrfürchtiges Schweigen über dem Hof, doch wenn das Echo verklungen war, begann wieder der Lärm der Betenden.
    Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß Kali die Königin dieses Tempels war. Ihre hohe Statue aus weißem Fels beherrschte in ihrem gigantischen Schrein den ganzen inneren Hof. Ein schwaches Lächeln lag auf dem steinernen Antlitz, und Geringschätzung lag in diesem Lächeln, mit dem sie auf die anderen Götter und deren Anbeter herabblickte; man konnte sich der Wirkung dieses Lächelns ebensowenig entziehen wie dem dutzendfachen Grinsen der Totenschädel, die aneinandergekettet um ihren Hals hingen. In ihren Händen lagen Dolche; mitten im Schritt schien das Standbild innezuhalten, als ob die Göttin sich entscheiden müsse, ob sie vor denen, die sich ihrem Heiligtum näherten, tanzen oder sie töten wollte. Ihre Lippen waren voll, ihre Augen groß. Im Fackelschein sah es aus, als ob die Göttin sich bewegte.
    Es war deshalb nur angemessen, daß ihrem Altar gegenüber der Schrein Yamas, des Todesgottes, aufgerichtet war. Priester und Baumeister hatten mit Vernunft entschieden, daß von allen Gottheiten einzig Yama in der Lage war, ihr jede Minute des Tages gegenüberzustehen, daß nur er seinen unbeugsamen Todesblick gegen den ihren setzen und ihr kaltes Lächeln mit seinem verzerrten beantworten konnte. Auch die andächtigsten Beter schlugen im

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