Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
schütze uns!«, flehte Nalaji. Jener Teil ihres Selbst, der bei Stygron war, schöpfte rotes Licht und goss es zwischen die Fayé, die jetzt dicht wie ein Teppich flogen, und das Dach des Palasts, in dem sich die Edlen und Priester versammelt hatten. Nalajis Bewusstsein löste sich von den menschlichen Sinnen. Sie sah den Schutz nicht mehr, den sie über die Menschen breitete. Sie war selbst dieser Schutz, rot und göttlich und fest wie der Mondsilberschild eines Paladins. Sie fühlte die Wut der Fayé, die dagegenprallten wie Speere, die an einer Mauer abglitten. Jene, denen der Verstand entglitten war, waren die leichteren Gegner. Sie erkannten in dem Schutz ein Bollwerk der Götter, das die verhassten Bevorzugten schützte. Das brachte sie zur Raserei. Sie stürzten sich darauf, um das Hindernis zu zerschmettern. Dadurch attackierten sie den stärksten Bereich, dort, wo in der greifbaren Welt Nalajis fleischlicher Körper stand. Hier ließen sie sich so mühelos abwehren wie Bienen, die gegen eine Stahlplatte prallten. Irgendwann konnten sie sich dem Orkan nicht mehr widersetzen und wurden Richtung Westen mitgerissen. Gefährlicher waren jene, deren Hass abgekühlt war. Sie verfügten über die Ruhe zu beobachten, wie die anderen Verfluchten ihre Kräfte verschwendeten, und zu erkunden, wie weit Nalajis Schutz reichte. Sie hatte ihn über die gesamte Stadt und die Schiffe in der Bucht gebreitet, aber an den Rändern wurde er dünn. Über den Vierteln der Armen, den Festungen an der Durchfahrt und den Schiffen, die am weitesten draußen ankerten, war er nicht stark genug, um die Geister zurückzuhalten, wenn sie sich zu dritt oder viert zusammentaten. So brachen sie an mehreren Stellen durch. Nalaji spürte die Verzweiflung, der selbst die stärksten Männer verfielen, als die Fayé ihre Seelen tranken, sich an ihnen berauschten und sie auf immer um die Gnade brachten, die sie bei ihrer Einkehr ins Nebelland hätte erwarten mögen. Sie gingen auf in den verfluchten Geistern der Fayé, deren Jubel noch tiefer in Nalajis Herz stach als das Vergehen ihrer Opfer.
Nalaji konnte ihren eigenen Körper in diesem Moment nicht spüren, aber sie vermutete, dass sie weinte.
»Eine Stunde seit Sonnenuntergang, Herr«, sagte Dengor, der Hüne, der Brens Leibwächtern vorstand. Die Gardisten waren vorletzte Nacht eingetroffen und bewachten nun seinen Tagschlaf. Sie hatten auch seinen neuen Kampfschild mitgebracht. Er zeigte das Wappen Guardajas, das blaue Einhorn mit tollwütigem Blick, wallender Mähne und Reißzähnen.
Bren hatte nur wenig Zeit gefunden, mit Jittara über die magische Kraft zu sprechen, die er in den Bergen in sich gefunden hatte, denn Schattenherzogin Widaja hatte ihn zu taktischen Besprechungen befohlen, wo er seine Erfahrung im Heerwesen eingebracht hatte. So war er seit einigen Nächten an der Front, während die Kleriker in Zorwogrod geblieben waren. Jittaras Verwirrung ob seiner und Attegos Schilderungen des Geschehenen war unübersehbar gewesen. Sie wartete auf die Schriften, die sie aus Orgait angefordert hatte, um nach Berichten von einem vergleichbaren Gespür zu forschen, das Bren in der Nebelform zeigte. Da er noch nicht gewillt war, sich mit seiner Mutter zu befassen, ging Ehla der Nachtsucherin bei diesen Studien zur Hand. Einig waren sich beide darin, dass die Suche in den Bergen die Ursache für Brens Erschöpfung war und dass sich diese mit der Zeit legen würde. Darauf deuteten auch die vergangenen Nächte hin. Er würde vermutlich bald wieder früher erwachen, wenn die Sonne ihre letzten Strahlen über den Horizont geschickt hätte.
»Erhebe dich«, befahl Bren seinem Hauptmann und stand selbst auf. Südlich von Zorwogrod waren die Wetterberge von genug Höhlen durchbohrt, um den Schattenherren, die mit dem Heer zogen, bei Tage sicheren Schutz zu gewähren. Sogar weiche Betten wurden mitgeführt, obwohl Osadroi im Schlaf nichts spürten, sich noch nicht einmal bewegten. Der an vier Stangen aufgespannte Baldachin hielt immerhin das Tropfwasser ab, das beständig aus der Höhlendecke kam.
Dengor überragte Bren um mehr als einen Kopf. »Die Kämpfe haben begonnen, Herr.«
»Ich weiß.« Schon zu Lebzeiten hatte Bren ein Gespür dafür gehabt, wann sich Heere gleich ausgehungerten Wölfen ineinander verbissen. Es war eine kaum zu erklärende Gabe, die von Erfahrung genährt und verfeinert wurde. Die meisten fähigen Offiziere besaßen sie. Sie ermöglichte, an einer meilenlangen Front
Weitere Kostenlose Bücher