Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
die Stelle zu finden, an der man den Widerstand des Feindes brechen konnte. Doch was Bren jetzt fühlte, hatte mit dem Gespür eines Feldherrn nichts zu tun. Um ihn herum war Essenz, Lebenskraft, die den Schatten zugedacht war. Weniger intensiv, als wenn man sie direkt aus einem Kristall oder einem Menschen zog, wie Bren es bei Quinné getan hatte. Das ähnelte Wasser aus einer Amphore, die man über dem Kopf ausleerte. Dies hier jedoch glich Nebel, nasser Luft, die einen überall umgab. »Unsere Krieger sterben«, murmelte er. »Ihre letzte Hingabe gilt den Schatten.«
»Nicht nur die Unsrigen lassen das Leben, Herr. Auch die Fayé lernen, was Sterblichkeit ist.«
Die Lebenskraft des Volkes aus dem Nachtschattenwald ließ sich nicht durch die Osadroi verwerten, doch die menschlichen Verbündeten des Feindes stärkten mit ihrer Furcht die Schatten.
Bren zog die Lederhandschuhe straff und legte den Morgenstern über die Schulter. »Lass uns nachsehen, wie unsere Sache steht.«
Der erste Schritt aus der Höhle drückte eine Last auf Bren, als habe jemand einen Sack mit Kies auf seine Schultern gelegt. Seine Knie drohten nachzugeben, aber er drückte sie mit einer bewussten Willensanstrengung durch. Er sah zum wolkenlosen Himmel, an dem Stygrons Rot in perfektem Rund stand. »Verfluchte Monde«, zischte er. So wie jetzt hatte er sich gefühlt, als er das erste Mal eine Eisenrüstung getragen hatte. Auch an diese Belastung hatte er sich gewöhnt, bis er den Schuppenpanzer schließlich kaum noch gespürt hatte.
Das Mondlicht war nicht die einzige Macht, die in dieser Nacht wirkte. Da war auch die gegensätzliche Kraft, der finstere Strom der Magie, und diese war so stark, dass Bren sich ihr intuitiv zuwandte.
Die Schlacht war noch eine Meile von der Bergflanke entfernt, in der Brens Höhle lag. Kampfrufe und Kriegshörner klangen aus der Masse von Tausenden Leibern, die aufeinander zuströmten wie Flüsse, dort wild schäumend, wo sie zusammentrafen. Das Licht von Sternen und Stygron schimmerte auf Helmen und Klingen, doch Bren sah noch ein anderes Bild, das über dem Gewimmel lag, ohne es zu verdecken – klaffende Wunden, die Zauber in die Wirklichkeit geschlagen hatten. Er blickte in Welten, die aus feurigem Tosen bestanden oder in denen Schmerz ein Geschmack war und Leid ein süßer Duft. Und er sah die Nachwehen dieser Wirklichkeiten, wie sie die Wesenheiten umwaberten, die die Fayé von dort gerufen hatten. Die körperlichen Gestalten, die sie in der greifbaren Welt annahmen, waren nicht viel mehr als Schatten ihres wahren Seins. Oft blieben sie unförmig, gleich Maden oder Würmern, die sterbliche Augen nicht vollständig erfassen konnten, sodass ihre Konturen verschwammen, wie es auch bei Schattenrossen der Fall war. Manche tauchten in Schwärmen zu Abertausenden auf, die wie Brecher die ondrischen Linien überspülten, in alle Körperöffnungen der Krieger krochen und sie von innen heraus aufplatzen ließen. Andere waren so groß wie ein Oberschenkel, wieder andere bewegten sich wie Tausendfüßler auf Dutzenden von Beinen und sahen den Axtschwingern in die Augen, wenn sie sich aufrichteten. Einige wenige waren auch so riesig, dass man hätte glauben können, Hügel hätten sich erhoben und schöben sich durch den vom Blut matschig gewordenen Schnee. Die menschlichen Söldner der Fayé waren gezeichnet, damit die Dämonen ihrer Herren nicht über sie herfielen – Bren sah es als vielzackige, unwirkliche Sterne aus purer Finsternis, die mit den Standarten dieser Einheiten zogen.
»Wie lange geht das schon so?«, fragte er.
»Um die Mittagsstunde begannen sie ihren Angriff«, erklärte Dengor. Brens Gardisten fanden sich zusammen, ordneten Rüstungen, nahmen Schilde und Waffen auf. »Ihre Dämonen sind erst mit der Dämmerung gekommen.«
»Auch sie scheuen das Sonnenlicht.« Bren schritt den Berg hinab. »Wo kämpft Boldriks Einheit?«
Dengor deutete so mühelos mit dem Breitschwert, als sei es ein Degen. »Man hat seine Reiterei dorthin befohlen. Das Gebiet ist im Sommer ein Sumpf. Jetzt ist es gefroren und bietet festen Halt. Nur wenige Inseln ragen heraus und behindern die Sturmritte.«
»Hoffen wir, dass das Eis fest genug ist für ein gepanzertes Ross.«
Flammende Geschosse zischten über sie hinweg und zerplatzten in den Reihen der vorrückenden Gegner.
»Wo stecken die Fayé?«, fragte Bren.
»Zweimal haben sie mit Bogenschützen eingegriffen, aber sie kamen nie so nah, dass wir sie hätten
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